Teamanalyse: Österreich bei der UEFA EURO 2024
Zum dritten Mal in Serie ist die österreichische Nationalmannschaft nun bei einer Europameisterschaft dabei. Erreicht hat diesen Meilenstein Ralf Rangnick, der den Fans bei seinem Debüt gleich mal mit einem 3:0-Sieg gegen Kroatien Hoffnungen auf eine erfolgreichere Zukunft machen konnte. In der EM-Qualifikation verlor man anschließend nur einmal gegen Belgien und qualifizierte sich als Gruppenzweiter für die Großveranstaltung bei unseren Nachbarn.
Rangnicks Mannschaft nahm immer mehr an Fahrt auf. Bereits 2022 knöpfte man dem damals noch amtierenden Weltmeister Frankreich ein Remis ab und schlug Italien ein paar Monate später zum ersten Mal seit 64 Jahren. Der Sieg motivierte die ÖFB-Truppe und dem ewigen Rivalen Deutschland konnte man eine 2:0-Niederlage anfügen.
Im Jahr 2024 stellte Christian Baumgartner mit seinem Führungstor gegen die Slowakei nach 6,3 Sekunden den neuen Weltrekord für das schnellste Länderspieltor der Fußballgeschichte auf und die Türkei wurde mit 6:1 aus dem Ernst-Happel-Stadion gefegt. Zudem war Rangnicks Entscheidung zugunsten des ÖFB und gegen die freie Trainerstelle beim FC Bayern München ein weiterer Boost für die Gruppenmentalität, was ihn in Österreich noch beliebter unter den Fans machte.
Nun wartet eine wahre Hammergruppe für die ersatzgeschwächte Truppe , die mit dem positiven Momentum den Größen Europas den Kampf ansagen wird. Frankreich, die Niederlande und Polen sind wahrlich keine Jausengegner.
Torhüter
Nach der Knieverletzung des Salzburgers Alexander Schlager eröffnete sich für mehrere Torhüter erneut die Chance auf das Einserleiberl im österreichischen Team. Für Daniel Bachmann (Watford) sieht es seit Ralf Rangnicks Übernahme schlecht aus und er absolvierte lediglich ein einziges Spiel unter dem Deutschen. Im erweiterten Kader ließ er sich mit vier Torhütern eine endgültige Entscheidung länger offen. Gestrichen wurde LASK-Schlussmann Tobias Lawal, der somit noch auf sein Länderspieldebüt warten muss.
Dass das Rennen um den Startplatz im Tor noch nicht endgültig entschieden ist, verkündete Ralf Rangnick nach dem letzten Test gegen die Schweiz. Die zwei Kandidaten sind Bröndby-Legionär Patrick Pentz und der in der abgelaufenen Rückrunde zu Union Saint-Gilloise (Belgien) ausgeliehene Heinz Lindner.
Pentz, der gerade noch seinen fixen Wechsel nach Bröndby klar machte, etablierte sich beim dänischen Erstligisten als Stammtorhüter und gehört zu den besten Torhütern der Liga des Landes. Der 27-Jährige hat die Nase im Rennen leicht vorne.
Herausforderer Heinz Lindner ist der Erfahrenere der beiden. Er ist nicht nur sechs Jahre älter als Pentz, sondern hat bereits 37 Länderspiele auf dem Buckel, wobei er sein Debüt bereits vor zwölf Jahren gab. Er fand sich in der Schweiz mittlerweile gut zurecht, der FC Sion ist bereits sein dritter Klub im Land der Eidgenossen. In der abgelaufenen Saison wurde er aber verliehen, wobei es in Belgien bei Union Saint-Gilloise nicht gerade gut aussah und Lindner insgesamt nur fünfmal eingesetzt wurde. Im ÖFB-Dress sah Heinz Lindner zuletzt im Test gegen die Schweizer nicht gut aus, als er den Ball vor Silvan Widmer springen ließ, der dadurch den Ausgleich erzielen konnte. Rangnick schreibt ihn aber nicht ab.
Während das Rennen um den Startplatz offen ist, darf sich Rapid-Goalie Niklas Hedl keine großen Hoffnungen machen, denn er ist bereits als Ersatzkeeper bzw. dritter Torhüter eingeplant. Beim Rekordmeister stieg der 23-Jährige langsam die Leiter empor und wurde zu einem der besten Torhüter der Liga, der sich seine Nominierung auf jeden Fall verdient hat.
Verteidigung
Aufgrund einer Kreuzbanrverletzung fällt mit David Alaba einer von Österreichs besten Spielern aus. Ralf Rangnick kann aber dennoch auf erfahrene Profis zurückgreifen, sprach sogar von einem „Luxusproblem“.
Herauskristallisiert hat sich aber das Duo bestehend aus Kevin Danso und Philipp Lienhart. Danso kam in den letzten fünf Länderspielen zum Einsatz, ist seit drei Spielzeiten beim französischen Erstligisten RC Lens gesetzt, mit dem er 2023 sogar sensationell Vizemeister wurde und nur einen Punkt hinter Meister PSG landete. Lienhart hingegen ist beim SC Freiburg unter Vertrag, wo er ebenfalls bereits zum Stammspieler und zu einer Stütze avancierte. Im zu Ende gegangenen Spieljahr kam er jedoch aufgrund von zwei Verletzungen nur auf 15 Einsätze, ist aber dennoch ein wichtiger Akteur für Österreich.
Auch Maximilian Wöber darf sich Hoffnungen auf Einsätze in Deutschland machen. In Mönchengladbach kam er in der vergangenen Saison Woche für Woche zum Zug und kann zudem auch als Linksverteidiger eingesetzt werden. Gernot Trauner wurde mit Feyenoord Rotterdam vor einem Jahr Meister, musste zuletzt im Vergleich zu vergangenen Jahren aber verletzungsbedingt zurückstecken und kam erst im Saisonfinish wieder in einen Spielrhythmus. Von der Bank ist er sicherlich eine gute Option, durch die man nicht schwächer wird.
Ergänzend sind mit Flavius Daniliuc (RB Salzburg) und Leopold Querfeld (Rapid) noch zwei Kicker der heimischen Bundesliga dabei. Beide gelten als große Talente, vor allem Querfeld zieht als Stammspieler das Interesse größerer Kaliber auf sich und soll kurz vor einem Wechsel zu Union Berlin stehen, während Daniliuc bereits dem italienischen Klub Salernitana gehört.
Als linker Flügelverteidiger ist Philipp Mwene eingeplant, als Mainz-Akteur ebenfalls in der deutschen Bundesliga unter Vertrag und zudem auch auf der rechten Abwehrposition einsetzbar. Mit Alexander Prass hat er einen würdigen Konkurrenten auf derselben Position, der bei Sturm Graz unter Christian Ilzer zuletzt das österreichische Double feierte.
Rechts verteidigen wird Stefan Posch. Bei Bologna, das überraschend die Champions League erreichte, ist er seit zwei Jahren gesetzt und kann zudem auf langjährige Bundesligaerfahrung bei der TSG Hoffenheim zurückgreifen.
Mittelfeld
Das Mittelfeld passt nahezu ideal zu Rangnicks Fußball. Die Doppelsechs im 4-2-3-1 ist ohne Nicolas Seiwald nicht vorstellbar. Der 23-Jährige ist der Inbegriff des sogenannten „RB-Fußballs“, kam er doch über die Akademie in die Kampfmannschaft bei RB Salzburg, von wo aus er den Sprung zu Schwesterklub RB Leipzig machte. Ein „ernsthafter Kandidat für die Startelf“ ist der andere defensive Mittelfeldspieler Florian Grillitsch, dem Marcel Koller bereits vor sieben Jahren zu seinem Debüt verhalf. In Hoffenheim spielte er 2023/24 allerdings hauptsächlich als Innenverteidiger.
Für das rechte Mittelfeld, aber auch das Zentrum ist mit Konrad Laimer eine weitere Pressingmaschine in der Startelf vertreten. Auch er kam über Salzburg nach Leipzig, hat im vergangenen Sommer anschließend beim FC Bayern München unterschrieben. Zudem ist auch Marcel Sabitzer nach einem kurzen, mentalen Loch nach dem verlorenen Champions-League-Finale wieder einsatzbereit. Der BVB-Legionär ist eines des Aushängeschilder Österreichs, durfte mehrere Male die Kapitänsbinde tragen und ist ebenfalls auf mehreren Positionen erfahren.
Im offensiven Mittelfeld führt kein Weg an Christoph Baumgartner vorbei. Rangnick nominierte den Vereinskollegen von Seiwald jedes Mal seit Amtsantritt, fast immer durfte Baumgartner dann auch spielen. Aktuell ist er in bestechender Form, in den letzten fünf Länderspielen traf er jeweils einmal, wobei auch besagtes Rekordtor gegen die Slowakei dabei war. Spielerisch ist er enorm wichtig und verbindet das Mittelfeld mit der Offensive. Der Teamchef hat also die passende Position für seinen „Unterschiedsspieler“ gefunden.
Von der Bank bringen die drei Bundesliga-Legionäre Romano Schmid (Bremen), Patrick Wimmer (Wolfsburg) und Köln-Kapitän Florian Kainz, sowie die Rapidler Maximilian Seidl und Marco Grüll frischen Wind.
Die Zentrale ist also mit Legionären aus Top-Ligen besetzt, die rotieren können und Rangnicks Spiel mit unterschiedlichen Charakteristiken zur Geltung kommen lassen. Durch die gute Breite im Kader fällt auch der Ausfall von Schlüsselakteur Xaver Schlager nicht mehr ganz so ins Gewicht.
Angriff
Die alleinige Spitze können gleich vier Kicker mimen. Die Nase vorn hat Michael Gregoritsch, der beim SC Freiburg weitgehend zum Stamm zählte und als Goalgetter mit einem Hattrick gegen die Türkei brillierte. Rekordnationalspieler Marko Arnautovic ist mit 35 Jahren ein weiteres und vermutlich letztes Mal dabei, muss aber wahrscheinlich auf der Bank neben Andi Weimann und Maximilian Entrup Platz nehmen.
Weimanns Zeit im ÖFB-Dress fand 2022 nach einer siebenjährigen Pause der Nichtnominierung ihre Fortsetzung, wodurch er wieder im Pool der Spieler auftauchte, die für eine Nominierung in Betracht gezogen werden sollten. Entrup hingegen ist erst seit November 2023 dabei und als einziger Hartberg-Spieler der Stolz seines Vereins.
Dennoch ist die österreichische Speerspitze ein wenig das Sorgenkind und die Zeiten eines Toni Polster oder Hans Krankl sind lange passé. Man muss auf ein gutes Turniermomentum hoffen, nachdem die Kandidaten für den Angriff zuletzt eher blass blieben und das Toreschießen weitgehend dem Mittelfeld vorbehalten war.
Trainer
Den Ruf als Fußball-Fachmann hat sich Ralf Rangnick über lange Zeit und mit zahlreichen innovativen Ideen erarbeitet. Sein „RB-Fußball“ etablierte sich in Österreich und prägt eine ganze Generation von Spielern, von welchen er auf einige auch im Nationalteam zurückgreifen kann. Seine Ideen prägten aber auch Trainer, darunter Thomas Tuchel, Julian Nagelsmann und Jürgen Klopp und er gilt quasi als der Erfinder des Gegenpressings, das zum elementaren Bestandteil des modernen Fußballs wurde.
Als Teamchef Österreichs konnte er die Fans wieder positiver stimmen und auch die Mannschaft enger zusammenschweißen, nachdem es unter dem langjährigen Übungsleiter Franco Foda nicht immer ganz so rund zwischen Trainerstab und Mannschaft zu laufen schien. Das Gefühl, mit den Größen des Fußballs mithalten zu können, gibt Grund zur Hoffnung auf eine Überraschung und Rangnick ist definitiv der Mann, der Österreich im Fußball ein neues Selbstverständnis einimpfen konnte.
Gesamtbewertung
Österreich wird von einigen Beobachtern als Geheimfavorit bei der Europameisterschaft gehandelt, hätte in der Gruppe aber kaum schwierigere Gegner erwischen können. Das große Problem ist das Lazarett des ÖFB-Teams. Mit Alexander Schlager, David Alaba, Xaver Schlager und Sasa Kalajdzic fehlt in jedem Mannschaftsteil ein Schlüsselspieler. Diese vier bitteren Ausfälle zu verkraften, macht die Aufgabe für die Österreicher nicht leichter.
Nichtsdestotrotz ist das Momentum auf der Seite der Rangnick-Elf und eine „Europhorie“ auf jeden Fall möglich. Dass Rapid die meisten Spieler im Kader stellt, ist ebenfalls ein „Zeichen der Gesundheit“ für die österreichische Bundesliga. Weiters kann man auf David Alaba als „non-playing captain“ zählen. Tendenziell steht der Spielplan ebenfalls auf Seiten der Rot-Weiß-Roten, denn sollte die Feuertaufe gegen Frankreich nicht gelingen, kann man sich im Polen-Spiel rehabilitieren, wobei dann alles im dritten Gruppenspiel gegen die Niederlande offen wäre – und man nicht mal das Stadion wechseln müsste.
Österreich in Gruppe D
Montag, 17.6., 21 Uhr | Österreich – Frankreich (Düsseldorf)
Freitag, 21.6., 18 Uhr | Polen – Österreich (Berlin)
Dienstag, 25.6., 21 Uhr | Niederlande – Österreich (Berlin)