Analyse: Österreich verspielt den Gruppensieg in der Schlussphase
Die österreichische Nationalmannschaft kam gestern im Nations-League-Spiel gegen Slowenien nicht über ein 1:1-Unentschieden hinaus und verspielt damit auf den letzten Metern den Gruppensieg. Wir wollen uns ansehen, was die Fans zur Leistung ihrer Mannschaft sagen.
Österreich starten druckvoll
Nachdem man sich in Kasachstan souverän und ohne große Mühe mit einem 2:0-Arbeitssieg durchsetzen konnte, stand nun für die Männer von Teamchef Ralf Rangnick das „Endspiel“ um den Gruppensieg in Wien gegen Slowenien an. Keine einfache Aufgabe, galt es doch, die Reisestrapazen so gut es geht zu überwinden, um den gewohnten „Powerfußball“ auf den Platz zu bringen. Wohl auch aus dem Grund rotierte man bei den Kasachen auf einigen Positionen, weshalb man nun im Vergleich zu diesem Spiel gleich fünf Veränderungen vornahm und mit der besten Mannschaft auflief. Systemtechnisch setzte man auf das gewohnte 4-2-2-2, bei dem die Doppelspitze Arnautovic/Baumgartner für Druck sorgen sollte.
Die Slowenen sind unter ihrem Trainer Kek nicht erst seit der Europameisterschaft für ihren Spielstil bekannt und eine äußerst harte Nuss, die es erstmal zu knacken galt. Das 4-4-2 der Gäste zeichnet sich durch eine enorme Kompaktheit und enge Abstände zwischen den Mannschaftsteilen aus, wodurch man speziell in den relevanten Räumen im Zentrum schwer durchkommt. Dafür sorgen die zwei engmaschigen Viererketten, die sehr homogen verschieben und es verstehen, speziell den Zwischenlinienraum zu verengen. Da die Österreicher gleichzeitig sehr gerne durch diese Zone angreifen, trafen damit quasi die beiden jeweiligen „Stärken“ der Teams aufeinander. Im Hinspiel der beiden Mannschaften führte das bereits zu einer engen Angelegenheit und einem Abnützungskampf.
Wie gingen es die Gastgeber diesmal an?
Man stellte sich zunächst von Anfang an darauf ein, ein dominantes Spiel hinzulegen und suchte schnell die Kontrolle. Die Slowenen ließen den Spielaufbau der Verteidiger de facto gewähren und setzten auf ein tieferes Mittelfeldpressing, wodurch man erst in der eigenen Spielhälfte attackierte. Nur die beiden Stürmer Sesko und Vipotnik befanden sich in der gegnerischen Hälfte und versuchten, eng beieinander zu stehen, um Pässe durch das Zentrum und in den Sechserraum zu verhindern. Teamchef Rangnick schien dies zu erwarten und legte seinen Matchplan genau darauf aus, um das auszunutzen, den Defensivblock der Slowenen anzubohren und zu destabilisieren.
Abkippende Sechser und weit aufrückende Außenverteidiger
Im Spielaufbau versuchten die Österreicher, eine konstante Überzahl gegen die Doppelspitze der Slowenen zu generieren, indem ein Sechser (zumeist Seiwald) in die erste Aufbaulinie zurückfiel und mit den beiden Innenverteidigern kurzzeitig eine Dreierkette bildete. Das ermöglichte es, die eigene Aufbaulinie in die Breite zu ziehen und die defensive Organisation der Slowenen herauszufordern. So standen vereinfacht gesagt die beiden Innenverteidiger Lienhart oder Wöber durch ihre „breite Stellung“ zeitweise auf der Position eines Außenverteidigers und somit weit weg vom Einflussbereich der gegnerischen Stürmer, die wie erwähnt den Passweg ins Zentrum verschließen sollten. Gleichzeitig schoben aber auch die österreichischen Außenverteidiger Posch und Mwene weit nach vorne, womit sie ihre direkten Gegenspieler quasi „mitnahmen“ und zusätzlich Platz schufen.
Das hatte zwei strategisch wichtige Aspekte zur Konsequenz. Einerseits erlaubte dies der aufbauenden Dreierkette mit dem Ball am Fuß, nach vorne zu dribbeln und ungestört mit spieleröffnenden Pässen die Offensivspieler zu suchen. Dabei spielte man immer wieder vertikal/diagonal ins Zentrum, wo mit Schmid, Sabitzer, Baumgartner und Arnautovic gleich vier spielstarke Akteure als Anspielstationen im Zwischenlinienraum lauerten. Die andere Konsequenz war, dass durch die eigenen aufrückenden Außenverteidiger die gegnerischen Flügelspieler mit nach hinten gedrückt wurden. Dadurch entstand bei den Slowenen oftmals aus dem 4-4-2 plötzlich ein 6-2-2 und in der letzten Linie de facto eine Sechserkette(!).
Das mag zwar kurzsichtig betrachtet die letzte Linie verstärken, allerdings sorgt das für massive Probleme im Mittelfeld und droht, man hier in Unterzahl zu geraten, da die zwei zentralen Mittelfeldspieler alleine gelassen werden. Und genau hier bohrten die Österreicher den Gegner an und gelang es, die Slowenen zu destabilisieren. Immer wieder spielte man von der Seite diagonal ins Zentrum und in den Zwischenlinienraum, wo das Sturmduo lauerte und auf die nachstoßenden Sabitzer, Schmid oder Laimer prallen ließ, und die dann den Weg nach vorne suchten.
So entstand bei den Gastgebern eine hohe Direktheit im Angriffsspiel, bei der man aber auch gleichzeitig sehr sauber blieb, oftmals sehenswert auf engstem Raum kombinieren konnte und nur so vor Spielfreude strotzte. Dadurch entfachte man von Anfang an einen enormen Druck auf die Slowenen, die alle Hände voll zu tun hatten, die Angriffe mit Händen und Füßen abzuwehren und in die eigene Hälfte eingeschnürt wurden.
Enorme Intensität der Österreicher schnürt die Slowenen zu
Das gelang den Slowenen zunächst in der Anfangsphase auch, und man konnte oftmals die Situationen gerade noch klären, ehe sie sich zu Torchancen entwickelten. Doch in dem Fall lauerte die nächste große Stärke der Österreicher – nämlich das Gegenpressing. Bedingt durch das 4-2-2-2 und die enorme Dichte im Zentrum hatte man ideale Voraussetzungen, um nach einem Ballverlust direkt ins Gegenpressing zu gehen. Hier ragten vor allem Laimer und Seiwald heraus, die viele Bälle absammeln konnten und so das Spielgerät in der gegnerischen Hälfte hielten. Doch es wäre vermutlich auch nicht ganz fair, den anderen Mitspielern gegenüber die beiden hervorzuheben, denn die gesamte Mannschaft der Gastgeber machte einen herausragenden Job im Spiel gegen den Ball. Etwa die Innenverteidiger, die ständig nach vorne attackierten und quasi jeden Zweikampf gewannen, oder auch die Offensivspieler, die sofort nachsetzten und ein enormes Laufpensum an den Tag legten.
Dazu zeigte man sich in der Pressingstrategie auch variantenreich, attackierte nicht immer Vollgas nach vorne, sondern lud die Slowenen auch gelegentlich ein, mitzuspielen. So auch bei der ersten Doppelchance in der 12. Minute, als die Slowenen das Spielgerät laufen lassen wollten, Seiwald einen Ball hervorragend antizipierte und abfing, ehe eine Flanke auf Arnautovic etwas zu hoch ausfiel. Wenige Sequenzen später ließ Arnautovic auf den nachstoßenden Laimer prallen, und dieser konnte durchbrechen und aufs Tor ziehen, doch der Abschluss fiel dabei zu schwach aus. Egal in welchem Aspekt, ob mit oder ohne den Ball, die Österreicher brannten ein regelrechtes Feuerwerk ab.
Hier muss man vor allem das Sturmduo Baumgartner/Arnautovic nochmals hervorheben, die mit ihrer technischen Qualität in engen Räumen viele Bälle sichern und Angriffe initiieren konnten. Speziell Baumgartner war in Kombination mit seiner Dynamik nicht zu bremsen und immer wieder für Tempoverschärfungen verantwortlich. So auch beim 1:0, was nach einem Umschaltmoment fiel, als Wöber nach einem Ballgewinn einen tollen direkten Pass in die Spitze spielte, den Baumgartner aufsammelte und nach vorne trieb, um im perfekten Moment Schmid freizuspielen, der vor Torhüter Oblak die Ruhe behielt und staubtrocken zur Führung vollendete. Eine mehr als nur hochverdiente Führung für die Rot-weiß-roten Adler nach einem wunderbar herausgespielten Treffer.
In der gleichen Tonart ging es auch anschließend weiter, und die Slowenen hingen wortwörtlich in den Seilen. Man kam kaum aus der eigenen Hälfte heraus, und im Ballbesitz war nach spätestens drei gespielten Pässen das Spielgerät wieder weg und beim Gegner. Daher kamen die Österreicher im ersten Durchgang auch wenig überraschend auf 72 % Ballbesitz, was die schiere Dominanz nochmal unterstreicht – und das bei einer Passquote von 87 %, obwohl man extrem direkt nach vorne spielte. Auch der Expected Goals-Wert sprach mit 1,3:0,05 eine deutliche Sprache zugunsten der Österreicher aus. Man fand auch weitere gute Situationen auf das 2:0 vor, blieb jedoch im letzten Drittel nicht konsequent genug. So ging es mit dem 1:0 in die Halbzeitpause.
Österreich bleibt zunächst am Gaspedal
Nach dem bärenstarken ersten Durchgang hatten die Gastgeber klarerweise wenig Grund, etwas zu ändern. Die Slowenen auf der anderen Seite versuchten zunächst im Rahmen ihrer bisherigen Systematik einige Veränderungen vorzunehmen. Die offensichtlichste betraf die beiden Sturmspitzen, die nun wesentlich breiter standen und sich quasi in den Schnittstellen zwischen der Dreierkette positionierten. Damit wollte man einen besseren Winkel und Zugriff auf die „andribbelnden“ Innenverteidiger erlangen, um dadurch weniger destabilisiert zu werden und sie stellen zu können. Gleichzeitig schob auch einer der beiden „Sechser“ etwas nach vorne, um die beiden zu unterstützen. Dadurch gelang es zumindest, die Spieleröffnung der Österreicher zu verlangsamen, öffnete allerdings gleichzeitig Passwege durchs Zentrum, womit es ein Ritt auf der Rasierklinge für die Gäste blieb.
Die Österreicher brauchten ein paar Minuten, stellten sich aber dann auf die Begebenheiten ein und fanden andere Wege, um nach vorne zu kommen. Dadurch verpufften auch diese Maßnahmen, und die Slowenen erlangten keinen signifikanten Zugriff, um das Offensivspiel des Gegners einzudämmen. So hatten die Gastgeber innerhalb von nur fünf Minuten gleich drei gute Möglichkeiten, um die Führung auszubauen und auf 2:0 zu stellen. Die beste vergab Sabitzer, dessen Abschluss vom Elfmeterpunkt nur knapp vorbeiging. Danach zog der Trainer der Gäste die endgültige Reißleine und wechselte nicht nur in der 65. Minute, sondern stellte auch die Systematik vom 4-4-2 auf ein 5-2-2-1 um, in der Hoffnung, die Defensive zu stabilisieren.
Nachlassende Intensität holt Slowenen zurück ins Spiel
Interessanterweise schien es auf den ersten Blick so, als würde diese Umstellung plötzlich greifen. Durch die Adaption hatte man nun eine konstante „Fünferkette“ statt einer situativen „Sechserkette“, eine klarere Struktur und eine bessere Staffelung in der defensiven Organisation. Das sorgte dafür, dass die Österreicher nun vermehrt Bälle in der Spitze verloren und die Ballbesitzphasen dadurch kürzer wurden. Das wäre nicht das Problem gewesen, wenn nicht auch gleichzeitig die Intensität gegen den Ball abgenommen hätte. Daher gelang es den Slowenen erstmals, den Ball länger in den eigenen Reihen zu halten und sich sogar ein ums andere Mal aus der eigenen Hälfte bis ins letzte Angriffsdrittel nach vorne zu kombinieren. Es schien so, als müssten die Gastgeber ihrem enormen Aufwand Tribut zollen und machten sich womöglich auch die Reisestrapazen allmählich bemerkbar. Vermutlich war es eine Mischung aus mehreren Faktoren.
Daher verwundert es auch etwas, dass Teamchef Rangnick in dieser Phase keine frischen Impulse von der Bank brachte, um speziell in der Offensive frischen Wind zu bringen. Vermutlich war die Gesamtsituation auch etwas trügerisch: Gewährte man den Slowenen zwar mehr Spielanteile, wurden diese jedoch nicht wirklich in Form von Großchancen gefährlich. Wenn man jedoch nur einen Treffer vorne liegt, besteht immer die Gefahr, dass der Gegner mit einem gelungenen Angriff den Ausgleich erzielt. Und so sollte es dann auch kommen, denn nach einem verunglückenden Abschlag kam der Ball über die rechte Seite postwendend zurück nach vorne, und Cerin verwertete eine flache Hereingabe in den Rückraum etwas glücklich zum überraschenden 1:1-Ausgleichstreffer.
Im Anschluss versuchten die Österreicher noch einmal, neue Impulse zu setzen, und Teamchef Rangnick wechselte auch gleich dreimal, um doch noch den Sieg zu erzwingen. Man kam dann auch noch tatsächlich zu einer Topchance, die jedoch der starke Baumgartner nicht verwerten konnte. So blieb es letztlich beim 1:1, und man verpasste damit den Gruppensieg in der Nations League. Letztlich waren eher schwächere 25 Minuten zum Schluss für die Slowenen ausreichend, um den Ausgleich zu erzielen. Da der Expected Goals-Wert im zweiten Durchgang mit 1,0:0,6 deutlich enger zugunsten der Österreicher ausfiel, zeigt dies auch nochmal die Nachlässigkeit in der Schlussphase, die letztlich bestraft wurde.