Oliver Drachta: „Technische Hilfsmittel werden zu 99% kommen.“
Der Oberösterreicher Oliver Drachta pfeift seit 2008 in der österreichischen Bundesliga und ist seit 2010 FIFA-Schiedsrichter. 136 Bundesliga-, 19 Europacup- und 18 A-Länderspiele hat der 40-Jährige bis jetzt geleitet.
Im Interview mit 12terMann.at spricht der studierte und selbstständige Sportwissenschafter über die Einführung von technischen Hilfsmitteln, zwei Dinge, die ihn am Fußball und den Spielern besonders stören und den Respekt gegenüber Schiedsrichtern.
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12terMann.at: In den vergangene Halbfinals der Champions League und Europa League hat es mehrere umstrittene (Fehl-)Entscheidungen gegeben. Wie erlebt man das als zuschauender Schiedsrichter?
Oliver Drachta: Natürlich fragt man sich, wie so etwas passieren kann, ob nicht einer der Assistenten einen besseren Einblick auf die Situation gehabt hat. Man legt es dann auch auf seine eigenen Spiele um und überlegt, ob man schon selbst einmal solche Situationen gehabt hat. Lustigerweise muss man dann natürlich auch sofort Stellung beziehen. Als Schiedsrichter fragen einen die Freunde, wie man die Situation gesehen hat.
Die Szenen ließen wieder vermehrt die Stimmen nach technischer Hilfe für die Schiedsrichter laut werden. Ist der Weg dorthin unausweichlich?
Ich denke, dass es schon gute technische Hilfsmittel geben kann und es wird zu 99% auch kommen. Die Frage ist aber, wie man diese Hilfe auch gewinnbringend für den Fußball einsetzt.
Was sind die Nachteile, die (noch) gegen eine flächendeckende Einführung des VAR (Video Assistant Referee) sprechen.
Vor allem in der Abstimmung zwischen dem Videoschiedsrichter und dem Schiedsrichter am Platz gibt es immer wieder noch größerer Probleme. Man muss auch klar definieren „was will ich eigentlich hinterfragen?“. Zum Beispiel wenn es sich um ein Foul im Mittelfeld handelt, will man sich solche Sachen noch einmal anschauen? Diese Dinge gehören vor der Einführung geregelt.
Daher wäre auch das 1:2 von Marseille in Salzburg (Anm. der Eckball vor dem Tor hätte als Abstoß entschieden werden müssen) so nicht zu verhindern gewesen oder? Man kann nicht jeden Corner auf seine Richtigkeit überprüfen.
Genau, das macht dann irgendwann den Spielfluss kaputt.
Wäre eine Regelung wie etwa im Tennis – wo man pro Satz eine gewisse Anzahl an „Challenges“ (Anm. Einspruch gegen Schiedsrichterentscheidungen) machen kann – eine gute Lösung? Oder sollte dies eher von den Schiedsrichtern ausgehen?
Es kann beides Sinn machen. Man darf aber Tennis mit Fußball nicht vergleichen, da beim Tennis bei einer Challenge der Ball meistens nicht mehr im Spiel ist. Im Fußball hingegen wird eine Entscheidung getroffen, der Ball bleibt aber im Spiel. Wenn da dann eine Mannschaft challengen würde, würde das Spiel unterbrochen werden. War die Challenge allerdings falsch, dann geht es mit einem Schiedsrichterball weiter und der Spielfluss wird wieder zerstört.
Das Spiel wird immer schneller, deswegen wurden vor wenigen Jahren auch die Torrichter eingeführt. Für viele haben diese jedoch keinen erkennbaren Mehrwert. Was sind deren Aufgaben und wieviel helfen sie wirklich?
Der Mehrwert des Torrichters für die Öffentlichkeit ist praktisch nicht sichtbar. Das hängt auch mit ihrem im Vergleich zum Linienrichter geringerem Bewegungsradius und auch der fehlenden Fahne zusammen. Grundsätzlich ist er aber bei jeder Entscheidungsfindung rund um seinen Einsatzbereich dabei. Von dort gibt er Entscheidungsvorschläge an den Schiedsrichter, bei dem aber immer die Letztentscheidung liegt. Für uns Schiedsrichter bringen die Torrichter eine wesentliche Erleichterung. Sie haben meistens vor allem dort die Augen, wo der Ball gerade nicht ist.
Die Schauspielerei finde ich ganz schlimm.
Welche Änderungen wären aus Sicht der Schiedsrichter wünschenswert?
Es gibt zwei Sachen, die ich ganz schlimm finde. Das Erste ist die Schauspielerei am Platz, dass sofort der sterbende Schwan gespielt wird. Das Zweite ist das Wegtragen und Wegschießen des Balles, wenn für den Gegner Freistoß gepfiffen wird. Das gibt es beides in keiner anderen Sportart aber beim Fußball bekommen wir es nicht weg.
Obwohl ja zum Beispiel das Wegschießen des Balles mit Gelb geahndet werden kann.
Man kann es schon mit gleich mit Gelb ahnden. Dann werden sich aber wieder viele über das fehlende Fingerspitzengefühl beklagen.
Würde es eine Verbesserung bringen, wenn bei einer Rudelbildung nur mehr der Kapitän mit dem Schiedsrichter sprechen dürfte?
Das kann man nicht zu 100% abstellen. Fußball ist ein sehr emotionaler Sport und die Emotionen gehören auch dazu. Keine Frage. Die Frage ist immer, wie man die Emotionen auslebt und wie ich selbst mit ihnen umgeh. Rudelbildungen kann man in einer Mannschaftssportart mit jeweils elf Spielern aber kaum vermeiden.
Bald ist die Fußball-WM. Verfolgen Sie diese Spiele mit den Augen eines Schiedsrichters oder eines Fans?
Ich versuche es als Fußballfan zu verfolgen, aber das gelingt nicht wirklich. Wenn ich mit Freunden schaue, dann fragen die mich, wie ich strittige Situationen gesehen habe. Und mit einem Auge schaut man auch auf die Kollegen, von denen ich immer lernen kann.
Was kann man sich bei den Kollegen abschauen?
Das Stellungsspiel, den Umgang mit Spielern und in Situationen wie Eckbällen oder Strafstößen. Da gibt es einiges. Grundsätzlich sind wir Schiedsrichter zwar alle gleich, aber es hat schon jeder seine eigene Persönlichkeit die er auf den Platz bringt.
Hat es für Sie schon einmal gefährliche Situationen am Feld oder gar Drohungen nach Spielen gegeben?
Nichts Ernstzunehmendes. Es gibt dort und da Emails oder Facebook-Kommentare, wo der Ärger kundgetan und meine Leistung beurteilt wird. Insgesamt hab ich dahingehend aber noch nichts Gravierendes erlebt.
Fühlen Sie sich von Spielern und Trainern ausreichend respektiert?
Das kann man nicht pauschalisieren. Mir fällt aber auf, dass die jungen Spieler vor dem Schiedsrichter und dessen Leistung immer weniger Respekt haben. Und viele Trainer können nicht einordnen, was sie mit ihrem Verhalten an der Seitenlinie bewirken. Da gibt es einige die vor den Schiedsrichtern wenig bis gar keinen Respekt haben und mit denen man hinterher auch nicht über die Entscheidungen reden kann.
Titelbild-Bildnachweis: © Steindy / Wikimedia / Wikimedia / CC-BY-SA-3.0 / CC-BY-SA-4.0 – Abwandlung
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