Taktikanalyse: Niederlage gegen die Türkei besiegelt Österreichs EM-Aus
Nach der äußerst erfolgreichen Gruppenphase der österreichischen Nationalmannschaft kam es zum mit Spannung erwarteten Achtelfinale. Gegner war die Türkei, die ihre Gruppe auf Platz 2 hinter Portugal abschloss. Aufgrund der bisher gezeigten Leistungen konnte man Österreich im Vorfeld eine zarte Favoritenrolle zusprechen. Die bittere Erkenntnis, dass die Ausgangslage allerdings keine Garantie für einen erfolgreichen Ausgang ist musste die ÖFB-Elf an diesem Arbeit am eigenen Leib erfahren. Die Türkei konnte das Spiel mit 2:1 für sich entscheiden und stieg damit ins Viertelfinale auf.
Türkei mit überraschender Grundordnung
Teamchef Ralf Rangnick nahm erneut einige Änderungen in Sachen Personal vor. Kevin Danso und Phillipp Mwene kehrten statt Maximilian Wöber und Alexander Prass in die Viererkette zurück. Auf der Sechserposition rutschte Konrad Laimer anstelle von Florian Grillitsch in die Startelf. Das übrige Personal innerhalb der bewährten 4-2-2-2-Grundordnung blieb im Vergleich zum Niederlande-Spiel unverändert.
Die Türken hingegen überraschten weniger mit dem aufgebotenen Personal als mit der gewählten Grundordnung bzw. des Matchplans. Statt des gesperrten Kapitäns Hakan Calhanoglu rutschte Orkun Kökcü in die Anfangsformation. Statt Salih Özcan begann Kaan Ayhan. Entgegen der im Vorfeld illustrierten 4-2-3-1-Formation schickte Trainer Vincenzo Montella ein 5-2-3, respektive 3-4-1-2 aufs Feld.
Ein hektischer Beginn inklusive Gegentreffer
Mit dem Anstoß der Österreicher ging das Spiel los. Wie schon in den letzten Spielen wollte die ÖFB-Elf mit Anpfiff sofort in das Angriffsdrittel vordringen, was auch gelang. Allerdings kam man nicht zum Torabschluss. Der Startschuss einer unfassbar hektischen Anfangsphase, die ihren Höhepunkt bereits in der ersten Minute fand. Nach einer Ecke von Arda Güler brachten die Österreicher den Ball nicht aus der Gefahrenzone und Merih Demiral stocherte das Leder über die Linie. 1:0 für die Türkei – das Worst-Case-Szenario war eingetreten. Die Österreicher zeigten sich aber keineswegs geschockt und klopften in Person von Christoph Baumgartner am türkischen Tor an. Sein Schuss ging knapp daneben. Ein paar Minuten später wurde es nach einer Sabitzer-Ecke, die an Freund und Feind vorbeiging, wieder gefährlich. Die sich überschlagenden Ereignisse am Platz gepaart mit der hitzigen Atmosphäre auf den Rängen ließ in den Anfangsminuten noch keine allzu großen taktischen Erkenntnisse zu.
Der türkische Matchplan erwischt Österreich am falschen Fuß
Mit der bereits erwähnten 5-2-3- bzw. 3-4-1-2-Formation der Türken sowie deren Matchplan, der sich wohl auch aufgrund des frühen Führungstreffers ergab, war nicht unbedingt zu rechnen. Kaan Ayhan agierte nicht, wie zunächst erwartet, als Sechser vor der Abwehr, sondern als dritter, halbrechter Innenverteidiger. Torschütze Demiral war der zentraler Part der Dreierkette und Abdulkerim Bardakci auf der halblinken Position. Ismail Yüksek hielt die Sechserposition vor der Abwehr, Orkun Kökcü agierte variabel in seinem Positionsspiel, war einmal im Sechserraum zu finden, öfters aber auch in höheren Zonen im zentralen Mittelfeld. Er sollte, gemeinsam mit Zehner Arda Güler, als Verbindungsspieler in die Spitze dienen, um das Spiel nach vorne zu tragen. Güler agierte jedoch als eine Art Freigeist, der überall am Platz zu finden war. Die beiden Wingbacks Ferdi Kadioglu und Mert Müldür markierten die Breitengeber. An der letzten Linie positionierten sich die Spitzen Kenan Yildiz und Baris Alper Yilmaz in den Halbräumen.
Die ÖFB-Elf stellte ihr 4-2-2-2 dagegen und wollte den Gegner wie immer von Anfang an hoch unter Druck setzen. Doch die unerwartete Positionierung der Türken war wohl ein Faktor, warum das Pressing nicht wie erhofft griff.
Ayhan (22), Demiral (3) und Bardakci (14) bilden die erste türkische Aufbaulinie. Gegen die 4-2-2-2-Formation der Österreicher ergibt sich also am Papier eine 3vs2-Überzahl gegen Arnautovic (7) und Baumgartner (19). In der Anfangsphase ließ sich Sabitzer (9) hinreißen, Ayhan zu pressen, da dieser auch sehr breit positioniert war und der Weg ins Pressing für Sabitzer kurz erschien. Dies ergab am rechten Flügel allerdings eine 2vs1-Überzahl für Müldür (18) und den breiter positionierten Yilmaz (21) gegen Mwene (16). So konnte das österreichische Angriffspressing zu Beginn überwunden werden.
Um dem Problem Herr zu werden, ließ sich Sabitzer in weiterer Folge etwas tiefer fallen, um die Höhe von Müldür zu halten und Ayhan in der ersten Linie nicht zu pressen. Daraufhin fanden sich Arnautovic und Baumgartner in der ersten Pressinglinie einer 2vs3-Unterzahl ausgesetzt, die von den spielstarken Türken mittels breiter Positionierung der ersten Aufbaulinie gut ausgespielt werden konnte. Österreich hatte zu Beginn Probleme, Zugriff im Pressing zu erlangen.
Ein weiteres Problem im Pressing der ÖFB-Elf ergab sich im zentralen Mittelfeld. Die beiden Sechser Laimer und Seiwald konnten die erste Pressinglinie nicht wie gewünscht absichern, da sie selbst im Zentrum mit einer 2vs3-Unterzahl zu kämpfen hatten.
Die oben beschrieben Problematik wird durch Sabitzers (9) tiefere Positionierung behoben, die 1vs2-Unterzahl am rechten Flügel ist egalisiert. Damit der dadurch zum freien Mann werdende Ayhan (22) nicht anspielbar ist, lenken Arnautovic (7) und Baumgartner (19) das Pressing auf die linke Angriffsseite der Türkei. Um die erste Pressinglinie abzusichern bzw. zu unterstützen orientiert sich der ballnahe Sechser Seiwald (6) am gegnerischen Sechser Kökcü (6). Laimer (20) kann aufgrund der Positionierung von Arda Güler (8) allerdings keine höhere Position einnehmen. Denn wenn der Spielmacher der Türken zwischen den Linien an den Ball kommt und aufdrehen kann würde sich eine gefährliche Offensivaktion für die Türkei ergeben. Innenverteidiger Lienhart (15) kann Laimer nicht unterstützen und Güler zustellen, da sonst Gefahr droht, dass Yilmaz (21) die tiefe attackiert und Österreich mit einem langen Ball hinter die letzte Abwehrkette ausgespielt ist. Liehnart muss also die Linie halten, Laimer hält den Raum vor der Abwehr. So wird Yüksek (16) zum freien Mann im Zentrum. Die Türken konnten dies allerdings dank des aggressiven Anlaufens von Baumgartner nicht immer nutzen und sahen sich auch zu langen Bällen gezwungen, die von der österreichischen Abwehrkette aufgesammelt werden konnten.
Die Türkei überlässt Österreich das Spiel
Nach dem Blitzstart der Türken ließen diese nun die ÖFB-Elf kommen. Auch im eigenen Offensivspiel erwies sich der überraschende gegnerische Matchplan für Rangnick-Elf als harter Brocken. Die türkische 5-2-3-Formation, die situativ gar zu einem 5-4-1 wurde, sollte sich als dichter Abwehrblock erweisen, mit dem die Österreicher ihre Mühe hatten.
Über weite Strecken der ersten Halbzeit sah man das gewohnte Positionsspiel Österreichs. Die erste Aufbaulinie wurde von den Innenverteidigern Danso und Lienhart gebildet. Davor positionierten sich Seiwald und Laimer im Sechserraum. Als Breitengeber fungierten die beiden Außenverteidiger Posch und Danso, die beide eine hohe Position einnahmen. Im Zentrum stellte die ÖFB-Elf wieder drei Zehner – Sabitzer, Baumgartner und Schmid. Marko Arnautovic sollte an der letzten gegnerischen Verteidigungslinie die gegnerischen Innenverteidiger binden. Es erwies sich allerdings als schwierig für den österreichischen Kapitän, als alleiniger Stürmer die drei gegnerischen Innenverteidiger an der letzten Abwehrlinie festzunageln, um so den Zwischenlinienraum für die drei Zehner der Österreicher groß zu halten.
Die beiden österreichischen Sechser Laimer (20) und Seiwald (6) werden von Arda Güler (8) und Orkun Kökcü (6) durch Mannorientierungen kontrolliert. Yüksek (16) kümmert sich um Baumgartner (19) bzw. um die Absicherung der beiden mannorientierten Güler und Kökcü. In der Theorie ergibt sich dank den drei österreichischen Zehnern Sabitzer (9), Baumgartner (19) und Schmid (18) eine 3vs1-Überzahl gegen Yüksek. Arnautovic (7) versucht, die Innenverteidiger Ayhan (22), Demiral (3) und Bardakci (14) zu binden, um den Zwischenlinienraum für die drei Zehner so groß wie möglich zu halten. Da die Türken allerdings mit drei statt den im Vorfeld erwarteten zwei Innenverteidigern agierten, war es für sie kein Problem aus der Kette zu schieben, um Sabitzer bzw. Schmid zuzustellen bzw. sofort unter Druck zu setzen, sobald diese an den Ball kamen. Die restlichen Innenverteidiger sicherten den attackierenden ab.
Durch die türkischen Mannorientierungen im Zentrum öffnete sich des Öfteren die direkte Passlinie aus der ersten Aufbaulinie (Danso, Lienhart) auf die drei Zehner oder gar Arnautovic. Durch die klaren Zuteilungen und die massive Positionierung in der letzten Abwehrkette der Türken konnte aber aus diesen Zuspielen wenig bis kein Kapital geschlagen werden. Das Aufdrehen und Attackieren der Tiefe war selten möglich, da die türkischen Verteidiger die Österreicher stets dazu zwangen, den Ball zurück beziehungsweise in die Breite zu spielen. Mit Fortdauer der ersten Halbzeit verlagerte sich das Spiel immer weiter in die Hälfte der Türken, wenngleich sich die Montella-Elf rund um die 30.Minute längere Ballbesitzphasen erarbeiten konnte. Dies war zum einen dem höheren Pressing der Türkei geschuldet, das die Österreicher den kontrollierten Spielaufbau erschwerte. Zum anderen benötigten die Österreicher aufgrund der wie gewohnt extrem intensiven Spielweise gegen den Ball eine kleine Verschnaufpause und attackierten in dieser Phase nicht mehr ganz so hoch.
Die realtaktischen Formationen über die gesamten 90 Minuten zeigen, dass sich das Spiel zu großen Teilen in der türkischen Spielfeldhälfte abspielte. In dieser Grafik werden die durchschnittlichen Positionen der Spieler angezeigt. Bis auf Danso (4) und Lienhart (15) weisen alle Österreicher eine durchschnittliche Positionierung in der gegnerischen Hälfte auf. Bei den Türken hingegen konnten im Schnitt mit Yildiz (19), Yilmaz (21) und Güler (8) lediglich drei Spieler mit einer durchschnittlichen Positionierung in der gegnerischen Hälfte aufweisen. Die ist sicherlich auch dem frühen Führungstor sowie dem immer tiefer verteidigenden Block in Halbzeit 2 geschuldet und eher untypisch für eine spielstarke Mannschaft wie die Türkei (Quelle: Wyscout S.p.a.).
Durch die beschriebene Herangehensweise der Türken gegen den Ball ließen sich sowohl die beiden Sechser Laimer und Seiwald als auch einer der drei Zehner immer wieder auf den Flügel fallen, um Zeit und Raum und somit mehr Ballkontakte zu bekommen. Allerdings fehlte dann vor allem die Manpower im Zehnerraum, um dort in die neuralgischen Zonen vorzustoßen. Wenn einer der Zentrumspieler rauskippte, reagierten die Türken einerseits, indem sich der jeweilige Spieler im Halbraum der ersten Pressinglinie (Yildiz oder Yilmaz) fallen ließ, um die Mittelfeldreihe zu unterstützen. Speziell wenn Seiwald rechts abkippte war es Kökcü, der seiner mannorientierten Spielweise treu blieb und den Leipzig-Legionär auf seine neue Position verfolgte.
Die Österreicher fanden in Halbzeit 1 also kaum Mittel, um aus dem Spiel heraus für Torgefahr zu sorgen. Das gleiche galt allerdings auch für die Türkei. Wenn es an den beiden Enden des Spielfelds brenzlig wurde, dann nach Eckbällen, die aber allesamt nichts mehr einbrachten. So ging es mit einer 1:0-Führung für die Türkei in die Halbzeitpause.
Rangnick adaptiert – Österreich wird gefährlicher
In der Pause nahm der Teamchef Änderungen am Personal vor. Phillipp Mwene und Romano Schmid blieben in der Kabine. Die beiden wurden durch Alexander Prass und Michael Gregoritsch ersetzt. Während Prass 1:1 die Linksverteidiger-Position von Mwene übernahm wurde Gregoritsch als zweite echte Spitze neben Marko Arnautovic aufgeboten. Baumgartner übernahm Schmids Position als rechter Zehner. Somit war bereits vor Anpfiff zum zweiten Durchgang klar, dass man mit der Doppelspitze Gregoritsch-Arnautovic die drei gegnerischen Innenverteidiger besser binden wollte, um die Zehner besser ins Spiel zu bekommen. Ein weiterer Benefit der Doppelspitze war, dass man die durch die Mannorientierungen im zentralen Mittelfeld frei gewordenen Passlinien in die Spitze besser nutzen konnte. Die türkischen Innenverteidiger konnten aufgrund der zwei österreichischen Stürmer an vorderster Front nicht mehr ohne weiteres aus der Kette herausstechen, um den Passempfänger zuzustellen. Ansonsten hätte Gefahr gedroht, dass der zweite Stürmer in den sich dahinter öffnenden Raum bewegt und die Tiefe attackiert. Als Beispiel hierfür diente die Chance von Marko Arnautovic in der 55.Minute, der allerdings aufgrund einer Abseitsstellung korrekterweise zurückgepfiffen wurde.
Doch nicht nur das Personal beziehungsweise die Präsenz an der letzten Linie, sondern auch die allgemeine Herangehensweise im eigenen Angriffsspiel sollte sich verändern. Die beiden Außenverteidiger Prass und Lienhart positionierten sich nun etwas tiefer, um sich entweder selbst Zeit und Raum am Ball zu verschaffen oder um den gegnerischen Wingback weit aus seiner Position zu locken und somit die Schnittstelle zwischen Wingback und Innenverteidiger für einen Tiefenlauf des nahen Zehners zu öffnen. Mit den beiden großgewachsenen Stürmern Arnautovic und Gregoritsch war der Plan nun klar: Durchbruch über die Flügel und die beiden Spitzen mit Flanken versorgen.
Die flache Positionierung Poschs (5) lockt den türkischen Wingback Kadioglu (20) weit aus seiner Position. Da dieser einen weiten Weg zurücklegen muss, um Posch unter Druck setzen zu können hat letzterer Zeit und Raum, um eine adäquate Lösung zu finden. Durch das Attackieren von Kadioglu öffnet sich die Schnittstelle zwischen ihm und seinem Innenverteidiger Bardakci (14). In diese sticht Baumgartner (19) mit einem Tiefenlauf, um den Longlineball von Posch aufnehmen und flanken zu können. Durch die mannorientierte Spielweise der Türken im zentralen Mittelfeld öffnet sich auch die diagonale Passlinie ins Zentrum auf Arnautovic (7). Ein solcher Diagonalball erweist sich oft als sehr effektiv und gefährlich, wie bereits in der Entstehung zum zweiten Treffer gegen Polen gesehen.
Generell sollten sich die Änderungen in der zweiten Halbzeit in Sachen Torgefahr rentieren. Arnautovic und Laimer fanden in den ersten 15 Minuten des zweiten Durchgangs gute Chancen auf den Ausgleich vor, konnten diese aber nicht verwerten. Und just in diese Drangphase der ÖFB-Elf sollte der zweite Nackenschlag folgen. Die Türken gingen, erneut nach einer Ecke, mit 2:0 in Führung. Wieder hieß der Torschütze Demiral, der sich an diesem Abend nicht zum ersten Mal gegen die österreichischen Raumdecker durchsetzen konnte. Ein Wirkungstreffer der Türken, wie man an den ersten Minuten nach dem zweiten Verlusttreffer bei Österreich erkennen konnte.
Die ÖFB-Elf war am gefährlichsten, wenn sie über den rechten Flügel angriff. Die beschriebene Positionierung in der zweiten Halbzeit stellte die Türkei vor einige Herausforderungen. Aber auch ein gewisses Maß an Variabilität machte ihnen das Leben schwer. So ließ sich Baumgartner des Öfteren im Halbraum in eine tiefere Position fallen, um mehr Ballkontakte zu bekommen. Wenn er dies tat war es Posch, der dann wieder an die letzte gegnerische Linie schob, um den gegnerischen Wingback an der letzten Abwerlinie der Türken zu binden und Baumgartner mehr Zeit und Raum am Ball zu ermöglichen.
Baumgartner (19) nutzt die fehlende horizontale Kompaktheit der gegnerischen 5-3-2-Formation in der ersten und zweiten Verteidigungslinie der Türken aus, um sich in den freien Raum zurückfallen zu lassen. Posch (5) bindet den gegnerischen Wingback Kadioglu (20), wodurch Baumgartner mit Tempo auf die gegnerische Fünferkette dribbeln und unter anderem ein 2vs1 gegen Kadioglu erzeugen kann. Dies war auch die Entstehungsgeschichte zum Eckball, der zum Anschlusstreffer für Österreich führte. Baumgartner schickte Posch die Linie entlang, die Flanke konnte von Kadioglu allerdings auf Kosten einer Ecke verhindert werden.
Österreichs Anschlusstreffer erhöht den Druck auf die Türkei
Die folgende Ecke konnte von Posch Richtung zweite Stange verlängert werden, wo Gregoritsch zum Anschlusstreffer verwerten konnte – 1:2, nun war alles wieder offen. Der Druck auf die Türken wuchs, ihr Abwehrblock wurde immer tiefer in die eigene Hälfte gedrückt. Mit dem schon vor dem Tor eingewechselten Florian Grillitsch, der Konrad Laimer ersetzte, kam ein spielstarker Sechser in die Partie, der Lücken in den türkischen Defensivverbund reißen sollte.
Die Türkei reagierte erst nach dem Gegentreffer auf die Anpassungen in Österreichs Offensivspiel und veränderte die 5-3-2-Formation zu einem 5-4-1. So konnte man auch in der zweiten Abwehrlinie eine höhere horizontale Kompaktheit erlangen, um Posch und Baumgartner beziehungsweise Prass und Sabitzer nicht mehr so viel Zeit und Raum zu lassen. Und trotzdem fanden die Österreicher immer wieder Räume vor, um sich aussichtsreiche Angriffe zu erspielen. In letzter Konsequenz fehlte allerdings die Präzision im Passspiel der ÖFB-Kicker.
Nach der Auswechslung von Arda Güler in der 78. Minute war es dann sogar über weite Strecken eine 5-5-Formation der Türken, die nun endgültig mit Mann und Maus verteidigten. Über weite Strecken der letzten 10 Minuten befanden sich alle österreichischen Spieler in der gegnerischen Hälfte. Mit dem Mute der Verzweiflung versuchte die ÖFB-Elf nochmals alles, um die türkische Defensive zu brechen, was wiederum Räume für die eine oder andere Kontersituation für die Montella-Elf öffnete. Aus diesen konnten die aus dem letzten Lock pfeifenden türkischen Spieler aber nicht zur vorzeitigen Entscheidung nutzen. Am Ende probierte es Österreich mit langen Bällen in den Sechzehner, die größtenteils wegverteidigt werden konnten. Bis Christoph Baumgartner in der 94. Minute nach einem hohen Ball von Prass in den Sechzehner den Kopfball nahezu perfekt setzte – und trotzdem im türkischen Keeper Mert Günök seinen Meister fand. Danach war es bittere Gewissheit: Die Türkei schlägt Österreich 2:1 und zieht ins Viertelfinale ein.
Fazit
Die aufregende Reise der Österreicher bei der EURO 2024 ist vorbei. Aufgrund des Spielverlaufs fühlt es sich aus österreichischer Sicht ungerecht an, dieses Spiel verloren zu haben. Nahezu alle relevanten Statistiken sprachen für die ÖFB-Elf. Man konnte sich die weitaus gefährlicheren Torchancen herausspielen. Das belegt der xG-Wert von 2,24:1,51 pro Österreich. Auch der Ballbesitzwert sprach mit 59:41 Prozent für die Mannen von Ralf Rangnick. In den direkten Duellen Mann gegen Mann konnten die Türken einen mit 106:77 einen positiven Wert aufweisen. Und eben in der wichtigsten Statistik – die der erzielten Tore.
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Türken mit einem hervorragenden Matchplan aufwarteten, mit dem so im Vorfeld nicht zu rechnen war. Dieser Matchplan, gepaart mit einem günstigen Spielverlauf mitsamt frühem Führungstor spielte der Montella-Elf in die Karten. Dies verlieh Arda Güler und Co. einen Boost, um vor allem am Ende mit absoluter Leidenschaft nahezu alles weg zu verteidigen.
Österreich wurde durch den initialen Matchplan der Türken überrascht und es dauerte etwas, bis sich Arnautovic und Co. anpassen konnten. Die Änderungen kurz vor bzw. nach der Halbzeit ermöglichte es der ÖFB-Elf vor allem auf der rechten Seite für großen Druck zu sorgen, der allerdings nur den Anschlusstreffer zur Folge hatte.
Die meisten Angriffe der Österreicher kamen über die rechte Seite und mit einem xG-Wert 1,07 wurde über diese Seite für die meiste Gefahr gesorgt. Die Türkei hingegen wartete mit einem äußerst auf das Zentrum fokussierten Angriffsspiel auf.
Aus dem Spiel heraus kam es auf beiden Seiten zu wenig klaren Torchancen. Bezeichnend dafür ist auch die Tatsache, dass alle drei Tore nach Ecken fielen. Zum Ende wirkten die Türken aufgrund des aufwändigen Verteidigens körperlich schwer angeschlagen. In einer möglichen Verlängerung hätte dies wohl den Sieg für Österreich bedeutet. So muss man jedoch die bittere Heimreise antreten – und das nach einer Gruppenphase, die ganz Fußballösterreich begeisterte wie es schon lange nicht mehr der Fall war. Es gilt nun die Wunden zu lecken, die Fehler zu analysieren, sich an den vielen positiven Ereignissen dieser EURO aufzurichten und dann gestärkt in die kommenden Aufgaben zu gehen. In dieser Mannschaft steckt sehr viel Potenzial, das hat sie bei dieser Endrunde endgültig bewiesen.
Mario Töpel, 12termann.at