Taktikanalyse: Österreich besiegt Polen mit 3:1
Nach der knappen 0:1-Niederlage gegen Turnierfavorit Frankreich traf das österreichische Nationalteam auf Polen. Im Hinblick auf eine Achtelfinalqualifikation hatte dieses Spiel bereits echten Endspielcharakter – für den Verlierer der Partie würden die Chancen auf einen Achtelfinaleinzug gegen Null sinken.
Rangnick überrascht mit seiner Startelf
Trainer Ralf Rangnick nahm im Vergleich zum Frankreich-Spiel drei Änderungen in der Startelf vor – und diese kamen zum Teil durchaus unerwartet. So wurde die komplette Innenverteidigung ausgetauscht. Statt Wöber und Danso begannen Lienhart und Trauner. Der Teamchef erhoffte sich ob des zu erwartenden höheren Ballbesitzanteils im Vergleich zum ersten Spiel, mehr Qualität in der Spieleröffnung. An vorderster Front ersetzte Marko Arnautovic Michael Gregoritsch.
Die restliche Startelf blieb personell unverändert. In Sachen der Positionierung der Spieler gab es jedoch eine kleine, aber wesentliche Änderung: Christoph Baumgartner sollte vom Zentrum auf den rechten Flügel ausweichen. Konrad Laimer ging im Vergleich zum ersten Gruppenspiel den umgekehrten Weg – er nahm die Zehnerposition im Zentrum ein. Seine Aufgaben, speziell gegen den Ball, sollten sich jedoch von jenen Baumgartners im ersten Spiel unterscheiden.
Österreich presst sich in das Spiel
Die Polen agierten im zu erwartenden 3-5-2-System. Dies bedeutete, dass das Spiel permanent im Dreieraufbau eröffnet wurde. Die beiden Wingbacks Nicola Zalewski und Przemyslaw Frankowski agierten als alleinige Breitengeber in einer zunächst höheren Position. Darüber hinaus stellte Polen 3 zentrale Mittelfeldspieler mit Piotr Zieliński als Freigeist. Als Sturmspitzen wurden Adam Buksa und Krzysztof Piatek aufgeboten. Superstar Robert Lewandowski sollte aufgrund seiner Verletzung zunächst nur auf der Bank Platz nehmen.
Die Österreicher passten ihren Matchplan an diese Formation an. Aus dem gewohnten 4-2-2-2 wurde ein 4-3-3, indem Baumgartner auf der rechten und Sabitzer auf der linken Seite in die erste Pressinglinie aufrückten, um dort den zentral agierenden Marko Arnautovic zu unterstützen und Gleichzahl gegen die polnische Dreierkette herzustellen. Laimer agierte dahinter als Zehner, der sich, wie auch die beiden Sechser Grillitsch und Seiwald, mannorientiert gegen die drei zentralen Mittelfeldspieler der Polen verhalten sollte. In dieser Zone herrschte Gleichzahl, wodurch die Mannorientierung durchaus legitim erschien.
Sabitzer (9), Arnautovic (7) und Baumgartner (19) bilden die erste Pressinglinie und stellen an vorderster Front eine Gleichzahl her. Dahinter ergab sich mit Grillitsch (10), Seiwald (6) und Laimer (20) ebenfalls eine Gleichzahl gegen das zentrale Mittelfeld der Polen. Dies ermöglicht es den Österreichern, die Polen im Spielaufbau permanent unter Druck zu setzen und ihnen kaum Luft zum Atmen zu lassen. Sollte einer der beiden polnischen Breitengeber – Nicola Zalewski (21) oder Przemyslaw Frankowski (19) – angespielt werden, wurden sie ebenso aggressiv von den Außenverteidigern Stefan Posch (5) bzw. Phillipp Mwene (16) gepresst.
Der Plan gegen den Ball sollte einer der Gründe für die absolute Dominanz der ÖFB-Elf in der Anfangsviertelstunde sein. Arnautovic und Co. waren extrem giftig in den Duellen – ein essenzielles Tool, um den Gegner in deren Ballbesitz nicht zur Entfaltung kommen zu lassen.
Adaptionen im Spiel mit dem Ball
Das polnische 3-5-2 in Ballbesitz sollte zu einem 5-3-2 werden, wenn Österreich den Ball in den eigenen Reihen hielt. Die Wingbacks Zalewski und Frankowski rückten in die letzte Abwehrreihe, um die Fünferkette aufzufüllen. Der Vorteil an der Fünferkette ist leicht erklärt: In der letzten Verteidigungslinie ist es einfach, eine horizontale Kompaktheit herzustellen. Das bedeutet, dass die Schnittstellen, über die der Gegner die Tiefe attackieren kann, relativ eng gehalten werden und damit Steckpässe in den Rücken der Abwehrkette weitestgehend verhindert werden können.
Der große Nachteil an der Fünferkette ist, dass die Flügeln lediglich mit jeweils einem Spieler besetzt sind. In etwas höheren Zonen findet der Gegner auf den Flanken deshalb oft Räume vor, über die angegriffen werden kann.
Und genau das machten sich die Österreicher zu Nutze. Wie schon am Ende des Frankreich-Spiels wurde der linke Flügel mit Sabitzer und Mwene doppelt besetzt. Sabitzer positionierte sich dabei an der letzten Linie, um den Außenverteidiger zu binden. In einer etwas tieferen Zone war Mwene permanent zu finden.
Sabitzer (9) bindet an der letzten gegnerischen Defensivlinie den Außenverteidiger Frankowski (19). Mwene (16) nützt durch seine Positionierung genau jenen Raum, der gegen eine Fünferkette gut bespielbar ist. Wenn Mwene an den Ball kommt, muss sich Frankwoski entscheiden: Attackiert er Mwene oder bleibt er an der letzten Linie, um Sabitzer zuzustellen? Sollte er sich für letzteres entscheiden, hat Mwene Zeit und Raum, um auf die Fünferkette zu dribbeln. Umgekehrt wird Sabitzer am Flügel frei und ein Durchbruch samt anschließender Flanke wäre möglich. Oftmals kam auch der ballnahe zentrale Mittelfeldspieler der Polen (hier Jakub Piotrowski (6)) zur Unterstützung. In diesem Fall wird allerdings Grillitsch (10) zum freien Mann, der von Mwene angespielt werden kann.
Auf der rechten Seite hingegen beließ es die Rangnick-Elf bei einer einfachen Flügelbesetzung. Baumgartner rückte die meiste Zeit über ins Zentrum bzw. den Halbraum, um dort gemeinsam mit Laimer die Doppel-Zehn zu bilden. Der hoch schiebende Stefan Posch markierte am Flügel den alleinigen Breitengeber. Das oben beschriebene Dilemma von Frankwoski stellte sich dadurch nicht für Zalewski, den linken Außenverteidiger der Polen. Dadurch ergab sich zunächst ein linkslastiges Offensivspiel der Österreicher.
Der Plan schien in der Anfangsviertelstunde perfekt aufzugehen. Durch gute Pressing- bzw. Gegenpressingmomente sowie den klugen Schachzug, auf dem linken Flügel eine Überzahl herzustellen, war die ÖFB-Elf von Start weg der Herr im Haus. Die folgerichtige Konsequenz aus dieser Dominanz war das 1:0 durch Gernot Trauner. Dem Treffer war ein langer Einwurf von Mwene vorausgegangen. Trauner wäre nicht in den gegnerischen Sechzehner gekommen, wenn es diesen Einwurf vorher nicht gegeben hätte. Der Feyenoord-Legionär agierte bei diesen langen Einwürfen in die Gefahrenzone nämlich als Zielspieler. Die Standardsituation selbst konnten die Polen klären, doch im zweiten Versuch kam Mwene auf links zum Flanken und Trauner stand an der ersten Stange goldrichtig und nickte ein.
Ungenauigkeiten bringen Polen zurück in die Partie
Österreich führte also mehr als verdient. Und in den ersten Minuten nach dem Treffer hatte man auch das Gefühl, dass die Mannen von Ralf Rangnick den Schwung nutzen wollen, um gleich nachzulegen. Ein Schuss von Marcel Sabitzer wurde gerade noch so geblockt. Die Polen kamen ihrerseits in der 17. Minute das erste Mal gefährlich vor das Tor, ohne dabei aber etwas Zählbares herauszuholen. Nach dieser Aktion merkte man langsam, aber sicher, dass die Polen nun ihrerseits selbst immer besser in die Partie fanden. Es folgten einige brenzlige Situationen im Strafraum unseres Nationalteams. Diese Annäherungen an das österreichische Tor schien unsere Elf wohl zu verunsichern. Einige leichtfertige Ballverluste nach Ungenauigkeiten im Passspiel und anschließende weniger optimale Gegenpressingsequenzen ließ die Elf von Teamchef Michal Probierz immer mehr aufkommen.
Die Polen, die in den ersten 15 Minuten regelrecht in der eigenen Hälfte eingeschnürt wurden, trauten sich nun, mit dem neu geschöpften Mut, höher zu pressen. Immer öfter kam es vor, dass die Österreicher bereits am eigenen Sechzehner unter Druck gesetzt wurden. Die ÖFB-Elf reagierte mit Variabilität in der Positionierung auf die mutigere Herangehensweise des Gegners.
Einerseits blieben die beiden Außenverteidiger Posch und Mwene beim Spielaufbau im eigenen Drittel flach positioniert. Im zentralen Mittelfeld agierten die Polen mannorientiert – eine Spieleröffnung über die Sechser gestaltete sich daher als schwierig. So versuchte man des Öfteren das hohe Pressing mit langen Chipbällen hinter die letzte Verteidigungslinie der Polen schnell und geradlinig zu überbrücken.
Die Außenverteidiger Mwene (16) und Posch (5) positionieren sich flach, um die gegnerischen Außenverteidiger Zalewski (21) und Frankowski (19) weit aus deren ursprünglichen Positionen ins Pressing zu locken. Den im Halbraum befindlichen Baumgartner (19) muss Innenverteidiger Kiwior (14) zustellen. Da Baumgartner im Zwischenlinienraum und nicht direkt an der letzten Defensivlinie des Gegners positioniert ist, ergibt sich dahinter ein Raum, den entweder Laimer (20) oder Arnautovic (7) mit einem Tiefenlauf attackieren. Mit einem Chipball von Trauner (3) in eben diesen Raum kann das Angriffspressing der Polen ausgehebelt werden und man gelangt im Angriffsdrittel in Ballbesitz. Entweder es ergibt sich der direkte Weg auf das Tor oder der Zielspieler sichert vorne den Ball und wartet auf die nachkommenden Mitspieler, um den Ballbesitz in die gegnerische Hälfte zu verlagern.
Ab und an kam es allerdings auch vor, dass Nicolas Seiwald als Sechser rechts abkippte und damit jenen Raum besetzte, den in zuvor beschriebener Abbildung Posch einnahm. So war die Struktur der ersten österreichischen Aufbaulinie nahezu ident, in höheren Zonen änderte sich aber Entscheidendes.
Seiwald (6) kippt seitlich ab und gibt nun den Rechtsverteidiger im Spielaufbau. Dafür kann Posch (5) nun bis an die letzte gegnerische Verteidigungslinie schieben und dort Außenverteidiger Zalewski (21) binden. Die Mannorientierungen der Polen im zentralen Mittelfeld veranlassen nun Bartosz Slisz (24) seine Position zu verlassen und Seiwald unter Druck zu setzen. In diesem Fall wird Baumgartner (19) zum freien Mann im Zentrum. Kiwior (14) kann sich allerdings den Vorteil der horizontalen Kompaktheit der Fünferkette zunutze machen und ohne Bedenken aus der Abwehrreihe schieben, um Baumgartner nicht aufdrehen zu lassen. Dies war mit ein Grund, warum sich Baumgartner in der ersten Halbzeit schwer tat, ins Spiel zu finden.
Leichtfertige Ballverluste und das nicht mehr ganz so griffige Gegenpressing nach Ballverlust ermöglichte den Polen einige vielversprechende Angriffe. Eine dieser Aktionen mündete im ersten Eckball gegen die Österreicher. Die Ecke konnte zunächst verteidigt werden, allerdings kam der Ball via Anschlussaktion nochmals in den Sechzehner, wo Piatek schlussendlich zum 1:1 verwerten konnte. In der Schlussviertelstunde der ersten Halbzeit gab es noch Chancen hüben wie drüben, am Spielstand sollte sich vorerst nichts ändern.
Österreichs Umstellungen bringen den Sieg
Zur zweiten Halbzeit nahm Ralf Rangnick personelle Änderungen vor. Florian Grillitsch blieb in der Kabine, für ihn kam Patrick Wimmer in die Partie. Dieser Spielertausch zog weitere Positionswechsel nach sich. So übernahm Konrad Laimer die Sechserposition von Grillitsch, Baumgartner rückte auf die ursprünglich von Laimer gespielte Zehnerposition. Wimmer übernahm den Part des rechten Flügelspielers. Hintergedanke bei Baumgartners Wechsel ins Zentrum war es, ihn besser ins Offensivspiel zu integrieren. Einer von mehreren Goldgriffen des Teamchefs, wie sich später noch herausstellen sollte.
Mit Beginn der zweiten Hälfte merkte man, dass die Österreicher nun wieder das Heft in die Hand nahmen, ohne dabei bahnbrechende taktische Änderungen vorzunehmen. Einzig Patrick Wimmer ließ sich im Spielaufbau öfter auf den Flügel fallen, als dies Baumgartner im ersten Durchgang tat. Die leichtfertigen Ballverluste wurden nun minimiert und man konnte den Gegner phasenweise mit längeren Ballbesitzphasen in deren Hälfte einschnüren. Der dichte Abwehrblock der Probierz-Elf ließ aber zunächst keine nennenswerten Chancen für Arnautovic und Co zu.
Trotzdem gelang es auch den Polen in der Anfangsphase der zweiten Halbzeit in das Angriffsdrittel vorzustoßen. Im Spielaufbau wurde die Positionierung der beiden Außenverteidiger adaptiert. So schoben diese nicht mehr ganz so hoch, um nun als direkte Anspielstation für die erste Aufbaulinie zu fungieren.
Um die erste Pressinglinie der Österreicher zu überwinden nimmt die Außenverteidiger Frankowski (19)) nun eine tiefere Position ein. Dabei orientieren sie sich auf der Höhe des Flügelstürmers der ersten Pressinglinie – in diesem Fall Sabitzer (9), der sich nun in einer 1vs2-Unterzahlsituation wiederfindet. Wenn er Innenverteidiger Bednarek (5) presst, wird Frankowski (19) zum freien Mann. Aufgrund der tiefen Positionierung ist der Weg für Mwene (16) zu weit, um Frankowski rechtzeitig unter Druck setzen zu können. Der Pole hätte also genug Zeit und Raum für eine Spielfortsetzung. Weiters würde bei einem Anlaufen von Mwene die Schnittstelle zu Lienhart (15) aufgehen, die der polnische Stürmer Buksa (16) für einen Tiefenlauf nutzen könnte.
Polen konnte die beschriebene Konstellation zu Beginn der zweiten Hälfte für sich nutzen und so einen gefährlichen Angriff initiieren. In weiterer Folge entschied sich Sabitzer, den halblinken Innenverteidiger Bednarek nicht mehr unter Druck zu setzen, sondern die Höhe von Außenverteidiger Frankowski zu halten. So wollte man das Risiko für weitere gefährliche Angriffe der Polen minimieren. Um den Druck auf die Polen weiterhin situativ aufrecht erhalten zu können, übernahm Christoph Baumgartner (19) ab und an das Attackieren in der ersten Pressinglinie anstelle von Marcel Sabitzer. Daraus ergab sich wiederum eine 2vs3-Unterzahl im zentralen Mittelfeld, die von den Polen allerdings in solchen Situationen allerdings nicht ausgespielt werden konnte.
Nach rund 60 Minuten kam Robert Lewandowski ins Spiel. Gemeinsam mit dem ebenfalls eingewechselten Karol Swiederski bildete er die neue Doppelspitze der Polen. Auf Seiten der Österreicher wurde Kevin Danso statt des verletzten Gernot Trauner eingewechselt. Wenige Minuten später wurde auch Alexander Prass ins Spiel gebracht. Für ihn musste, wie schon im Spiel gegen Frankreich, Phillipp Mwene weichen. Von Prass erhoffte man sich zusätzlichen Offensivdrang über die Linksverteidigerposition – immerhin ist dieser eigentlich eine Etappe weiter vorne angesiedelt. Diese Erwartung sollte sich nur wenige Minuten später erfüllen – und wie!
Nach einer schnellen Spielverlagerung von der rechten auf die linke Seite fand Prass in der 66. Minute äußerst viel Platz vor, den er für ein Dribbling Richtung polnischer Fünferkette nutzte. Danach spielte er einen starken Ball in Richtung Zentrum, der sogenannten ‚Zone 14‘. Hierbei handelt es sich um die zentrale Zone unmittelbar vor dem gegnerischen Sechzehner, aus der statistisch gesehen die meisten Tore eingeleitet werden. Arnautovic ließ den Ball auf den dahinter postierten Baumgartner durch. Dieser fand sich plötzlich an der Strafraumkante in aussichtsreicher Schussposition wieder und versenkte den Ball zum hochemotional bejubelten 2:1 für Österreich.
Wimmer (23) bekommt den Ball am rechten Flügel mit dem Rücken zum gegnerischen Tor und wird unter Druck gesetzt. Seiwald (6) und Laimer (20) positionieren sich knapp hinter den gegnerischen Stürmern, weswegen die zentralen Mittelfeldspieler der Polen dieses Mal nicht Mann auf Mann spielen. Seiwald kann nach dem Zuspiel von Wimmer somit aufdrehen und auf den auf der ballfernen Seite flach positionierten Prass (8) verlagern, der den Ball nun nach vorne treiben kann. Er erkennt, dass Arnautovic (7) und Baumgartner (19) in der sogenannten ‚Zone 14‘ anspielbar sind und spielt einen herausragenden Diagonalball in eben jene Zone. Arnautovic lässt den Ball clever durch und Baumgartner kann zum Führungstreffer vollenden.
In dieser Situation machte sich Österreich den großen Nachteil der 5-3-2-Formation der Polen zunutze: So hoch die horizontale Kompaktheit der Fünferkette in der letzte Linie auch ist, umso geringer ist sie eine Reihe weiter vorne im Mittelfeld. Der initiale Spielaufbau über rechts lockte alle drei zentrale Mittelfeldspieler auf die ballstarke Seite. Dank der vorteilhaften Positionierung von Prass und auch Sabitzer fand ersterer einen großen Raum für das Dribbling vor, welches entscheidend in der Entstehung des Treffers war. Nun lagen alle Trümpfe in den Händen der Österreicher.
Österreich macht den Deckel drauf
Unmittelbar nach dem Führungstreffer wurden die Polen mit einem ähnlichen Spielzug gefährlich. Den daraus resultierenden Distanzschuss von Swiderski konnte Pentz aber abwehren.
Mit dem Mute der Verzweiflung drückten Lewandowski und Co nun nochmals an und zwangen die Österreicher, in einem tieferen Block zu verteidigen. Im Mittelfeldpressing agierten die Mannen von Ralf Rangnick im gewohnten 4-2-2-2, in welchem sie aufopferungsvoll verteidigten. Das große Zittern begann und Polen-Teamchef Michal Probierz versuchte, mit der Einwechslung von Flügelspieler Kamil Grosicki statt des zentralen Mittelfeldspielers Bartosz Slisz neue Impulse zu setzen. Die Grundordnung änderte sich in ein 4-4-2. Grosicki übernahm die Position am linken Flügel, Nicolas Zalewski wechselte auf den rechten offensiven Flügel. Durch die hohe Positionierung der beiden in Ballbesitz ergab sich eine 4-2-4-Formation.
Mit dieser Umstellung gingen die Polen auch endgültig ins Angriffspressing, um Österreich unter Druck zu setzen. Dies ergab Mann gegen Mann-Situationen an der letzten Verteidigungslinie, die sich ideal für Kepper Pentz anboten, um gezielte Chipbälle in ebenjene Zone zu spielen. Einer dieser Chipbälle wurde von einem polnischen Verteidiger Richtung eigenes Tor verlängert. Sabitzer schaltete am schnellsten und gewann das Duell gegen seinen direkten Gegenspieler, wodurch er plötzlich alleine auf das Tor der Polen zulief. Erst Keeper Szczesny konnte ihn im Sechzehner regelwidrig stoppen. Den fälligen Elfmeter verwertete Marko Arnautovic zum erlösenden 3:1.
Zwar gaben die Polen nicht auf und versuchten nochmals für Gefahr zu sorgen. Doch die dazu verwendeten Mittel in der 4-4-2- bzw. 4-2-4-Grundordnung sollten sich als ineffizient herausstellen.
Die Österreicher erwarten den Gegner nun in einer tieferen Zone und verteidigen im 4-2-2-2. Dabei überlassen sie den Innenverteidigern den Spielaufbau, ohne großen Druck auf sie auszuüben. Der eingewechselte Gregoritsch (11) und Sabitzer (9) stellten mithilfe des Deckungsschattens die beiden Sechser Zielinski (10) und Moder (8) zu. Dies Hatte den Effekt, das teilweise beide Sechser abkippten und sich seitlich von den Innenverteidigern positionierten. Somit ergaben sich riesige Abstände zwischen den polnischen Reihen und ein geordneter Ballvortrag über das Zentrum war so nicht möglich. Stattdessen musste Polen das Spiel über die Flügel eröffnen. Darauf warteten die Österreicher wiederum und pressten den Gegner dort aggressiv an, um sämtliche Angriffsbemühungen im Keim zu ersticken.
Doch die Österreicher verteidigten nicht nur, sondern konnten auch den Ball in den eigenen Reihen laufen lassen, um Zeit von der Uhr zu nehmen. Das Chancenplus nach dem 3:1 lag sogar auf auf Seiten der Rangnick-Elf. Wimmer, Posch und vor allem Laimer fanden gute bis sehr gute Chancen vor und hätten einen vierten Treffer folgen lassen können. Die Polen hingegen hatten in der Nachspielzeit eine nennenswerte Gelegenheit durch Grosicki, der nach einer Flanke von rechts aber das Tor nicht traf. So blieb es beim 3:1 für Österreich.
Fazit
Aufgrund der dominanten Anfangsviertelstunde und der starken zweiten Halbzeit ist der Sieg für die österreichische Elf hochverdient. Wie erwartet war es ein völlig anderes Spiel als gegen Frankreich. Ralf Rangnick und sein Trainerstaff haben im Vorfeld einen starken Matchplan entwickelt, der speziell zu Beginn voll aufging. Darüber hinaus wurden mutige, aber nachvollziehbare und im Nachhinein betrachtet auch richtige Personalentscheidungen getroffen. Mit Fortdauer der ersten Halbzeit kamen die Polen immer mehr auf. Dies lag allerdings eher an den leichtfertigen Ballverlusten der ÖFB-Elf. Die Partie stand in der zweiten Halbzeit zunächst auf Messers Schneide. Ohne taktisch großartige Veränderungen vorzunehmen, rissen Baumgartner und Co das Spiel allerdings wieder an sich und gingen verdientermaßen erneut in Führung. Polen erwies sich als der erwartet starke Gegner und konnte auch einige gefährliche Abschlüsse für sich verbuchen. Die Einwechslung von Superstar Robert Lewandowski erwies sich allerdings als wirkungslos. In Sachen xG (Expected Goals) hatten die Österreicher mit 2,13:1,68 die Nase vorne. Speziell gegen Ende der Partie war Österreich dem vierten Tor deutlich näher als Polen dem Anschlusstreffer. Die gezeigte Leistung und das Ergebnis stießen die Tür zum Achtelfinale weit auf – die Hoffnung auf die K.O.-Phase lebt. Im letzten Gruppenspiel hat man es selbst in der Hand, unter die Top 2 zu kommen. Und selbst wenn die ÖFB-Elf nur dritter in Gruppe D werden sollte stehen die Chancen gut, als einer der 4 besten Gruppendritten weiterzukommen.
Mario Töpel, 12termann.at