UEFA EURO 2024

Taktikanalyse: Österreich biegt „Oranje“ und gewinnt die Gruppe

Im dritten und letzten Gruppenspiel der EURO 2024 traf Österreich im Berliner Olympiastadion auf die Niederlande. Bei den Oranjes handelte es sich von der Papierform her nach Frankreich um das wohl zweitstärkste Team, auf das die ÖFB-Elf in dieser Gruppenphase treffen sollte. Nach dem Sieg gegen Polen und den bisherigen Ergebnissen des 3. Spieltags in den anderen Gruppen waren die Mannen von Teamchef Ralf Rangnick bereits vor dem Spiel so gut wie sicher für das Achtelfinale qualifiziert. Lediglich bei einer Niederlage mit fünf Toren Unterschied oder mehr wäre man noch aus dem Ranking der vier besten Gruppendritten gefallen. Bei einem Unentschieden oder gar einem Sieg winkte allerdings auch eine Endposition in den Top 2 der Gruppe D. Wer Ralf Rangnick und sein Team kennt weiß, dass es kein Spiel gibt in dem Österreich nicht auf Sieg spielen würde.

Wieder Überraschungen in der Startelf

Österreichs Startelf sorgte, wie schon im Spiel gegen Polen, erneut für Überraschungen. In Sachen Grundordnung vertraute man auf das über weite Strecken bewährte 4-2-2-2. Der Teamchef nahm 4 Änderungen im Vergleich zum vorangegangenen Spiel vor. Wöber kehrte für den verletzten Trauner in die Startelf zurück. Prass rutschte nach seiner guten Leistung im Polen-Spiel statt des mit Gelb vorbelasteten Mwene auf die Linksverteidiger-Position. Die ebenfalls vorbelasteten Laimer und Baumgartner blieben zunächst ebenso auf der Bank. Sie wurden von Patrick Wimmer und Romano Schmid ersetzt.

Die Niederländer kamen zunächst in einer 4-3-3-Formation und veränderten ihre Startelf an drei Positionen. Lutsharel Geertruida, Joey Veerman und Donyell Malen begannen anstelle von Denzel Dumfries, Jeremy Frimpong und Xavi Simons.

Wieder ein überfallsartiger Start Österreichs

Rangnick überraschte also erneut mit seiner Personalauswahl, wie schon im Spiel zuvor. Eine weitere Parallele zum Polen-Spiel war der überfallsartige Beginn der ÖFB-Elf. Dies war unter anderem der Tatsache geschuldet, dass die Niederländer unserer Mannschaft den Ball in der Anfangsphase weitestgehend überließ.

In den eigenen Ballbesitzphasen reagierte man auf die 4-1-4-1-Grundordnung der Oranjes gegen den Ball und adaptierte die Positionierungen im Vergleich zum letzten Spiel. Die doppelte Flügelbesetzung auf links war diesmal nicht gefragt, man wählte stattdessen eine ähnliche Herangehensweise wie im Frankreich-Spiel. Die Außenverteidiger Prass und Posch positionierten sich sehr hoch auf den Flügeln und gaben die Breitengeber. Die erste Aufbaulinie bestand aus den Innenverteidigern Wöber und Lienhart. Vor den beiden agierten Grillitsch und Seiwald im Sechserraum. Eine Etappe weiter vorne waren es Wimmer, Sabitzer und Schmid, die den Zehnerraum dreifach besetzten. An der letzten gegnerischen Verteidigungslinie war es Marko Arnautovic, der die Innenverteidiger beschäftigen sollte.

Das beschriebene Positionsspiel der ÖFB-Elf gegen das 4-1-4-1 der Niederländer. Die beiden Achter Rijnders (14) und Veerman (16) orientierten sich an den österreichischen Sechsern Grillitsch (10) und Seiwald (6). Dies ergab eine 3vs1-Überzahl für Österreich im Zehnerraum. Schouten (24) agierte hier als einziger Niederländer gegen Wimmer (23), Sabitzer (9) und Schmid (18).

Die Überzahl im eigenen Zehner- bzw. gegnerischen Sechserraum stellte die Elftal in den Anfangsminuten speziell auf deren rechten Abwehrseite vor große Probleme und war der Hauptgrund für den herausragenden Beginn Österreichs. Um die beschriebene Unterzahl zu kompensieren, verließen die Außenverteidiger ihre Positionen, damit sie den Zehner im jeweiligen Halbraum am Aufdrehen hindern konnten. Damit riskierten sie allerdings, den Flügel völlig freizugeben bzw, dem Gegner den dortigen Durchbruch zu ermöglichen.

Schouten (24) kann als alleiniger Sechser nicht alle drei gegnerischen Zehner kontrollieren. Dadurch lassen sich die Außenverteidiger – hier Geertruida (2) – verleiten, aus der Viererkette zu schieben und den nahen Zehner im Halbraum – in diesem Beispiel Wimmer (23) – am Aufdrehen zu hindern, sollte dieser an den Ball kommen. Dies wiederum bedeutet, dass Breitengeber Prass (8) große Räume am Flügel vorfindet, danke derer Österreich ins Angriffsdrittel vorstoßen kann.

Anhand dieser Konstellation entstand auch das 1:0 für Österreich in der 6. Minute. Die Österreicher bauten den Angriff über die rechte Seite auf. Sabitzer ließ sich als zentraler Zehner weit auf die ballstarke Seite fallen und zog Schouten, den gegnerischen Sechser, mit sich mit. In den frei gewordenen ballfernen Halbraum ließ sich Arnautovic fallen, der nach der starken Spieleröffnung von Innenverteidiger Lienhart aufdrehen und das Spiel auf den linken Flügel zu Prass verlagern konnte. Geetruida rückte durch Wimmers zentrale Positionierung weit Richtung Zentrum und auch Innenverteidiger De Vrij konnte nicht aus der Kette schieben, um Arnautovic zu stören. So fand Prass einen großen Raum auf dem linken Flügel vor. Seine Hereingabe wurde von Donyell Malen ins eigene Tor abgelenkt.

Wimmer (23) bindet mit seinem tiefen Laufweg sowohl Innenverteidiger De Vrij (6) als auch Außenverteidiger Geetruida (2) im Zentrum. Dies war der Schlüssel dafür, dass sich Arnautovic (7) zwischen den Linien aufdrehen und den am linken Flügel völlig freien Prass (8) anspielen kann.

Oranje erhöht den Ballbesitzanteil

Die Niederländer brauchten einige Minuten, um ins Spiel zu finden. Erst nach gut 8 Spielminuten erarbeitete sich die Elftal eine erste längere Ballbesitzphase. Generell war der Ballbesitzanteil von Oranje in der ersten Halbzeit erschreckend gering, wenngleich das Spielgerät mit Fortdauer öfter bei der Elf von Ronald Koeman war. Trotzdem wies die Statistik in der Pause hier einen Wert von 59:41 pro Österreich auf.

Die Positionierung im Ballbesitz wich nicht groß von der 4-3-3-Grundordnung auf dem Papier ab. Die erste Aufbaulinie wurde von den vier Verteidigern gebildet. Die Außenverteidiger Geertruida und Aké blieben flach und etwas enger an der Seite der Innenverteidiger De Vrij und Van Dijk. Schouten fand sich im Sechserraum wieder, Rijnders und Veerman als Achter etwas höher in den Halbräumen. An der letzten Verteidigungslinie der Österreicher stellten die Niederländern drei Spieler: Gakpo auf dem linken Flügel, Depay im Zentrum und Malen auf dem rechten Flügel.

Die Österreicher waren wie immer darum bemüht, den Gegner mit hohem Pressing sehr früh im Spielaufbau zu stören. Wie in den meisten Spielen griffen Arnautovic und Co hierbei auf die bewährte 4-2-2-2-Formation zurück. Man versuchte, das Spiel auf einen der beiden Außenverteidiger zu lenken, um dort mit den Zehnern den Ball zu attackieren. Im zentralen Mittelfeld ergab sich eine 3vs2-Unterzahl für die beiden Sechser Grillitsch und Seiwald, sodass die gegnerische Spieleröffnung durchs Zentrum um jeden Preis verhindert werden sollte.

Geertruida (2) und Aké bilden durch ihre flache Positionierung gemeinsam mit den beiden Innenverteidigern die erste Aufbaulinie. Das Ziel: Sowohl die beiden österreichischen Stürmer Sabitzer (9) und Arnautovic (7), als auch den ballnahen Zehner – hier Schmid (18) – ins Pressing locken, um dann eine 3vs2-Überzahl im zentralen Mittelfeld zu nutzen. Schouten (24) und Veerman (16) binden Grillitsch (10) und Seiwald (6). Reijnders (14) ist nun in der Theorie der freie Mann. Die Österreicher lenken das Pressing allerdings auf den Außenverteidiger auf der anderen Seite, Nathan Aké (5). In der zweiten Pressinglinie schaffen es Grillitsch und Seiwald einerseits ihre direkten Gegenspieler zuzustellen als auch den Passweg auf Rijnders zu blockieren. Als Backup positioniert sich der ballferne Zehner Wimmer (23) so, dass er einerseits Geertruida (2) im Falle einer Spielverlagerung unter anpressen kann. Andererseits könnte er auch Rijnders unter Druck setzen, sollte die Spieleröffnung auf ihn doch möglich sein.

Ein kontinuierlicher Spielaufbau war für die Niederländer als kaum möglich. Beleg dafür ist, dass die erste Topchance der Oranje, die Rijnders vergab, nach einer Umschaltsituation in der 14. Minute erfolgte. Trotzdem war diese Chance eine Art Weckruf, die Niederländer konnten nun ihren Ballbesitzanteil etwas erhöhen.

Die Koeman-Elf schaffte es nicht, das österreichische Pressing mit spielerischen Mitteln zu überwinden und sich auf diese Art Torchancen zu erspielen. Somit waren Van Dijk und Co. dazu gezwungen, andere Varianten zu wählen, um ihrerseits gefährlich zu werden.

Einerseits ließ sich Veerman im Spielaufbau immer öfter auf den linken Flügel fallen, um selbigen mit Aké und Gakpo zu überladen. Wenn er dies tat, wurde er von Seiwald verfolgt. Grillitsch und der ballferne Zehner Wimmer schlossen dann das Zentrum. Auch dieses Mittel sollte sich als wirkungslos für die progressive Spielfortsetzung erweisen. Dies lag in erster Linie an Seiwald, der speziell gegen den Ball ein herausragendes Spiel machte (mit 14 Balleroberungen die meisten aller Spieler auf dem Feld). Der Leipzig-Legionär konnte Veerman in diesen Situationen immer stören, bevor es dem Niederländer möglich war, aufzudrehen. So sah sich der niederländische Achter stets gezwungen, den Rückpass Richtung erste Aufbaulinie zu spielen.

Andererseits wählte man ab und an den etwas direkteren Weg nach vorne. Depay ließ sich von der letzten gegnerischen Verteidigungslinie nun öfter in den Zehnerraum fallen, um einen der beiden österreichischen Innenverteidiger aus der Viererkette zu ziehen. Dadurch öffnet sich eine Schnittstelle, die dann vom ballnahen Flügelspieler angelaufen wurde, um den Raum hinter der letzten Verteidigungslinie der Österreicher zu attackieren. Dieser Raum war stets sehr groß, da Österreich aufgrund des praktizierten Angriffspressings sehr hoch stand.

Depay (10) lässt sich in den Zehnerraum fallen, um hinter Grillitsch (10) und Seiwald (6) anspielbar zu sein. Dies veranlasst Innenverteidiger Lienhart (15), Depay in diesen Raum zu verfolgen, um ein Aufdrehen des Stürmers zu verhindern. Dies hat den Effekt, dass nun eine große Schnittstelle zwischen Posch (5) und Wöber (2) entsteht. Diese wird von Flügelspieler Gakpo (11) mittels Tiefenlauf attackiert. Entweder der Ball wird direkt aus der ersten Aufbaulinie hinter die letzte österreichische Verteidigungslinie gespielt oder Depay wird als Wandspieler gesucht, der den Ball auf die nachkommenden Mitspieler ablegt. Erst dann wird Gakpo in die Tiefe geschickt. In der Theorie aufgrund der hohen österreichischen Viererkette ein probates Mittel.

Mit diesem gruppentaktischen Mittel kamen die Niederländer auch zu ihrer nächsten Topchance durch Donyell Malen in der 23. Minute. Hier waren es sogar beide österreichischen Innenverteidiger, die sich aus der Kette ziehen ließen. Malen attackierte sich die dadurch öffnende Schnittstelle und wurde in die Tiefe geschickt. Allein vor Keeper Pentz setzte er den Ball aber neben das Tor.

Niederlande mit mehreren Umstellungen

Bondscoach Ronald Koeman reagierte auf die herrschenden Unzulänglichkeiten im Spiel seiner Mannschaft mit einem Wechsel in der 35. Minute. Jungstar Xavi Simons kam für Joey Veerman ins Spiel. Die Grundordnung änderte sich nun zu einem 4-2-3-1. Einerseits erhoffte man sich mit eine zweiten Sechser einen besseren Zugriff auf die drei österreichischen Zehner. Andererseits wollte man mit Xavi und Depay mehr Druck auf Österreichs Innenverteidiger im Spielaufbau ausüben.

Xavi Simons (7) unterstützt Depay (10) in der ersten Pressinglinie, um die ursprüngliche 1vs2-Unterzahl gegen Wöber (2) und Lienhart (15) zu kompensieren. Somit wird aus der 4-2-3-1- eine 4-4-2-Formation. Mithilfe des Deckungsschattens der beiden versuchen sie, die Passlinien auf Grillitsch (10) und Seiwald (6) zuzustellen. Das wiederum bedeutet für die Sechser Rijnders (14) und Schouten (24), dass sie sich eher an den drei Zehnern Wimmer (23), Sabitzer (9) und Schmid (18) orientieren konnten. Das wiederum ermöglichte es den Außenverteidigern Geertruida (2) und Aké (5) sich auf die gegnerischen Breitengeber Prass (8) und Posch (5) zu konzentrieren.

Bis auf eine gute Chance von Marko Arnautovic im Rahmen einer Anschlussaktion nach einer Ecke sollten sich allerdings weder am einen noch am anderen Ende des Feldes allzu gefährliche Möglichkeiten auftun. Somit ging es mit einer etwas glücklichen, aber keineswegs unverdienten 1:0-Pausenführung für Österreich in die Halbzeitpause.

Der zweite Durchgang begann mit einem Paukenschlag. In der 47. Minute, noch bevor etwaige taktische Anpassungen zu erkennen waren, zappelte nämlich der Ball im Netz – dieses Mal in jenem der ÖFB-Elf. Nach einem Ballverlust in der gegnerischen Hälfte schalteten die Niederländern blitzschnell um und Cody Gakpo konnte zum Ausgleich vollenden. Ein temporärer Nackenschlag für Österreich, der nichts Gutes befürchten ließ.

Ronald Koeman nutzte die Zeit in den Kabinen, um auch das Spiel im eigenen Ballbesitz zu adaptieren. Er setzte nun im eigenen Ballbesitz auf ein 3-2-2-3-System. De Vrij, Van Dijk und Aké bildeten den Dreieraufbau der Elftal. Im zentralen Mittelfeld wollte man mit einer boxförmigen Anordnung nun eine 4vs2-Überzahl schaffen und die beiden gegnerischen Sechser vor Probleme stellen. So erhoffte man sich das, was in der ersten Halbzeit nicht funktionierte – den Spielaufbau über das Zentrum.

De Vrij (6), Van Dijk (4) und Aké (5) bilden nun zu dritt die erste Aufbaulinie. Der nominelle Rechtsverteidiger Geertuida (2) rückt nun ins Mittelfeldzentrum, um an der Seite von Schouten (24) eine Doppelsechs zu formen. Das Ziel der Niederländer ist es hierbei, die 4vs2-Überzahl im Zentrum zu nutzen, um die beiden Achter Xavi (7) und Rijnders (14) ins Spiel zu bringen. Diese sollen aufdrehen und dann auf die österreichische Viererkette dribbeln. Wenn den Niederländern gelingt, ergibt sich eine 5vs4-Überzahl an der letzten gegnerischen Verteidigungslinie. Während dieser EURO gab es einige Teams, die den gleichen Ansatz im Positionsspiel wählten wie die Niederländer in der zweiten Halbzeit.

Der niederländische Traumstart in Halbzeit 2 sowie die angepassten Positionierungen im eigenen Ballbesitz stellten die Österreicher in der Anfangsviertelstunde vor gröbere Probleme. Speziell die Unterzahl im Zentrum ließ der ÖFB-Elf die Spielkontrolle entgleiten. Spieler wie Malen oder Xavi bekamen nun eine breite Brust und arbeiteten sich mit guten Einzelaktionen immer besser in die Partie. Man hatte in dieser Phase das Gefühl, dass es eher die Elftal sein würde, die nachlegen könnte.

Österreich trifft aus dem Nichts – und adaptiert das Pressing

Doch es sollten die Jungs von Ralf Rangnick sein, die aus dem Nichts den Treffer zum 2:1 erzielten. Nach einem Konter schien der Umschaltmoment bereits ungenutzt zu bleiben, die Österreicher setzten sich am gegnerischen Sechzehner fest. Dank des passive Abwehrverhaltens der Niederländer und einem guten Tiefenlauf von Grillitsch kam letzterer zum Flanken. Im Zentrum köpfte ausgerechnet der 1,68 Meter große Romano Schmid zum Führungstreffer für Österreich ein. Ein Tor, das mitten in die wohl bis dahin stärkste Phase der Niederländer in dieser Partie fiel. Hierbei erneut nicht außer Acht zu lassen ist Alexander Prass, der in dieser Situation den Assist-Assist, also den Pass auf Assistgeber Grillitsch, spielte. Nach seinem Assist zum Eigentor von Malen hatte der Sturm-Akteur nun also erneut seine Beine im Spiel.

Um wieder mehr Kontrolle über das Spiel zu erlangen reagierte Ralf Rangnick kurz nach dem Treffer und nahm einen Dreifachwechsel vor. Christoph Baumgartner, Konrad Laimer und Leopold Querfeld kamen für den gelb-rot gefährdeten Patrick Wimmer, Florian Grillitsch und Philipp Lienhart in die Partie.

Mit diesem Wechsel ging auch eine kleine, aber wesentliche Adaption der Grundordnung gegen den Ball einher. Österreich griff nun auf ein 4-2-3-1 zurück. Baumgartner rückte auf die zentrale Zehnerposition, Sabitzer wechselte auf die linke Seite. Laimer übernahm 1:1 Grillitsch‘ Sechserposition. Mit dieser Umstellung wollte man der positionellen Überlegenheit der Niederländer im Mittelfeldzentrum entgegenwirken.

Arnautovic (7) bildet nun die alleinige Pressinglinie an vorderster Front. Um die Unterzahl im zentralen Mittelfeld auszugleichen, agierte der eingewechselte Baumgartner (19) als Zehner hinter Arnautovic und stellte einen der beiden niederländischen Sechser – hier Schouten (24) – zu. Der zweite Sechser Geertruida (2) wurde vom linken Flügelspieler Sabitzer (9) kontrolliert, der darauf verzichtete Innenverteidiger De Vrij (6) zu pressen. Auf der anderen Seite ließ sich Schmid ebenso wenig ins Pressing der ersten Aufbaulinie locken. Stattdessen versuchte er den Passweg auf Wijnaldum (8) zuzustellen. Als Backup wurde er dabei von Seiwald (6) unterstützt. Generell hatte diese Ordnung im Pressing den Vorteil, dass sich Laimer (20) und Seiwald mehr auf die Achter im Zwischenlinienraum – hier Depay (10) und Wijnaldum – orientieren konnten.

Das Zustellen der gegnerischen Sechser hatte zur Folge, dass sich Arnautovic in einer 1vs3-Unterzahl gegen die erste Aufbaulinie der Niederlande ausgesetzt sah. Aufgrund dieser Unterzahl verzichtete er auf ein aktives Pressing und stellte stattdessen eine Passlinie in den Sechserraum zu. So konnten die Niederlande den Ball zwar in den eigenen Reihen halten, ohne allerdings für die ganz große Gefahr zu sorgen.

Ein offener Schlagabtausch in der Schlussphase

Durch die Umstellungen konnte die ÖFB-Elf die Angriffsbemühungen des Gegners weitestgehend neutralisieren. Ronald Koeman musste somit erneut reagieren und brachte in der 71. Minute den baumlangen Stürmer Wout Weghorst statt Flügelspieler Donyell Malen. Xavis Simons rückte auf den rechten Flügel und Memphis Depay ließ sich im eigenen Ballbesitz sich auf Xavis Achterposition fallen. Weghorst war nun der Zielspieler für lange Bälle, die er entweder sichern oder in die Tiefe verlängern sollte.

Und genau nach diesem Muster sollte nur wenige Minuten später der 2:2-Ausgleich für die Niederländer fallen. Über den linken Flügel wurde der Ball in den Sechzehner der Österreicher geflankt, wo Weghorst an den Ball kam und diesen per Kopf auf Depay weiterleitete. Der Stürmer von Atletico Madrid vollendete technisch sehenswert zum Treffer für die Elftal.

Die ÖFB-Elf ließ sich jedoch auch von diesem Rückschlag keineswegs beeinflussen und antwortete nur fünf Minuten später mit dem Siegtreffer zum 3:2. Sabitzer nutzte ein erneut zu passives Defensivverhalten der Niederländer und die schlechte Positionierung Van Dijks, der das Abseits aufhob, für einen Tiefenlauf im linken Halbraum. Aus spitzem Winkel konnte er Goalie Verbruggen bezwingen. Wieder wurde der Treffer über die linke Seite eingeleitet und wieder konnte Prass den Assist-Assist verbuchen.

Niederlande investierte nochmals alles und versuchte, mit langen Bällen zum erneuten Ausgleich zu kommen. Bis auf eine Kopfball von Weghorst wurde es aber nicht mehr gefährlich und die Österreicher konnten nach einer ausgedehnten Nachspielzeit tatsächlich den Sieg bejubeln.

Fazit

Mit dem zweiten Sieg im dritten Spiel schaffte das österreichische Nationalteam das, was viele wohl für unmöglich hielten – den Gruppensieg in einer der schwierigsten Gruppen dieser EURO. Eine erneut beherzte Leistung brachte den Sieg gegen die am Papier höher eingestuften Niederländer. Mit einem gut strukturierten Pressing bereitete man Ronald Koeman und seiner Mannschaft Kopfzerbrechen. Selbst auf die Umstellungen der Niederländer in Ballbesitz reagierten Ralf Rangnick und sein Staff einmal mehr hervorragend. So konnte man speziell die heikle Anfangsviertelstunde der zweiten Halbzeit ohne größeren Schaden überstehen.

Ebenfalls hervorzuheben ist die Tatsache, dass alle drei Tore der ÖFB-Elf über die linke Angriffsseite gefallen sind. Das Offensivspiel Österreichs war zentral geprägt. Die Niederländer versuchten krampfhaft, das eigene Offensivspiel ebenso über das Zentrum zu steuern. Dies gelang allerdings speziell in der 1. Halbzeit überhaupt nicht und man musste die Angriffe über die Flügelzonen initiieren oder mit langen Bällen agieren.

Die Österreicher griffen primär über das Zentrum an. Speziell in der Anfangsphase mit der 3vs1-Überzahl im Zehnerraum konnte man in dieser Zone wiederholt für Gefahr sorgen. Der xG-Wert der Angriffe über das Zentrum spricht mit 0,73 eine deutliche Sprache. (Screenshot von Wyscout S.p.a.)

Doch wer Österreich bei dieser EURO lediglich auf die Arbeit gegen den Ball reduziert, tut dem Nationalteam unrecht. Speziell zu Beginn des Spiels hatten die Österreicher weitaus mehr Ballbesitz. Das lag einerseits natürlich daran, dass die Niederländer im Mittelfeldpressing agierten (der Passes per Defensive Action-Wert – PPDA – der Elftal lag in der 1. Halbzeit bei 13,5). Andererseits war es aber auch das intelligente Positionsspiel, das der ÖFB-Elf längere Ballbesitzphasen gegen ein Topteam ermöglichte.

Der Verlauf der Ballbesitzkurven zeigt, dass Österreich im ersten Durchgang in dieser Statistik dominant war. Erst in der zweiten Halbzeit, als die Niederlande im eigenen Ballbesitz einen vierten Spieler ins Zentrum beorderte, stieg der Anteil der Elftal rasant an. Der österreichische Dreifachtausch und die Umstellung auf 4-2-3-1 konnte diese Statistik wieder etwas ausgleichen.

Nicht außer Acht zu lassen ist auch der Fakt, dass Schlüsselspieler wie Christoph Baumgartner oder Konrad Laimer zunächst nicht mit von der Partie waren. Das spricht sowohl für die Qualität im Kader, auch in der Breite, als auch für den Spirit innerhalb der Mannschaft.

Mit diesem erfreulichen Ergebnis trifft Österreich nun im Achtelfinale auf den zweitplatzierten der Gruppe F (Türkei, Tschechien oder Georgien). Aufgrund der gezeigten Leistungen darf man gespannt sein, wie die Reise der österreichischen Nationalmannschaft bei diesem Turnier weitergehen wird.

Mario Töpel, 12termann.at