UEFA EURO 2024

Taktikanalyse: Spanien besiegt England und krönt sich zum Europameister

Im mit Spannung erwarteten Endspiel der EURO 2024 trafen Spanien und England im Berliner Olympiastadion aufeinander. Die Wege der beiden Teams ins Finale hätten unterschiedlicher nicht sein können. Die Furja Roja überzeugte vom ersten Gruppenspieltag an mit guten Leistungen und konnten alle Spiele für sich entscheiden. Die Three Lions hingegen taten sich trotz individueller Klasse schwer, ihre PS auf den Platz zu bekommen, konnten aber mit minimalistischer Performance das Endspiel klarmachen. Und gerade die individuellen Klassespieler in den Reihen der Engländer ließ die Mannen von Gareth Southgate hoffen, den großen Favoriten zu biegen und den EM-Pokal in das Mutterland des Fußballs holen zu können.

Wenig Überraschungen in den Anfangsformationen

Spaniens Coach Luis de la Fuente schickte die gewohnte 4-3-3-Formation auf das Feld. Die zuletzt gesperrten Dani Carvajal und Robin Le Normand kehrten in die Startelf zurück. Ansonsten gab es keine personellen Änderungen im Vergleich zum Semifinale gegen Frankreich.

England wartete auf dem Papier mit einer 3-4-2-1-Formation auf. Teamchef Southgate vollzog im Vergleich zum vorangegangenen Spiel gegen die Niederlande eine personelle Änderung. Luke Shaw begann statt Kieran Trippier als linker Schienenspieler. Die Formation, speziell gegen den Ball, sollte sich jedoch etwas anders als erwartet darstellen.

England ändert die Herangehensweise gegen den Ball

Im Semifinale stellten die Three Lions noch einen 5-2-3-Block gegen den Ball. Doch dieses Mal entschied sich Southgate für ein 4-2-3-1 in der defensiven Spielphase. Walker, Stones, Guéhi und Shaw bildeten die Viererkette, Mainoo und Rice agierten als Sechser vor der Abwehr. Die offensive Dreierreihe bildeten Bellingham auf links, Foden im Zentrum und Saka auf rechts. Harry Kane war der Mann an vorderster Front.

Der Plan schien klar: Die Engländer wollten mit strikten Mannorientierungen im zentralen Mittelfeld das Herzstück des spanischen Ballbesitzspiels neutralisieren. Foden hatte als Zehner den klaren Auftrag seinen Manchester-City-Teamkollegen Rodri zuzustellen, damit dieser das Spiel nicht aufbauen konnte. Die beiden Achter Fabián Ruiz und Dani Olmo wurden von den beiden Sechsern Declan Rice und Kobbie Mainoo verfolgt.

Die Spanier bauen das Spiel auf, England agiert im Mittelfeldpressing und attackiert nicht ganz hoch. Die Innenverteidiger Le Normand (3) und Laporte (14) haben in der ersten Aufbaulinie eine 2vs1-Überzahl gegen Kane (9). Dahinter ist es Foden (11), der Sechser Rodri (16) zustellt. Die englischen Sechser Mainoo (26) und Rice (4) orientieren sich an den spanischen Achtern Ruiz (8) und Olmo (10).

Die Three Lions zwangen die Spanier durch ihren Matchplan, ihr Aufbauspiel mehr auf die Flügel zu verlagern. Bei Ballbesitz im ersten Drittel war die 4-3-3-Formation noch am ehesten zu erkennen. Die beiden Außenverteidiger Cucurella und Carvajal positionierten sich flach und schoben nicht allzu hoch. So waren es die beiden Flügelspieler Yamine Lamal und Nico Williams, die an der letzten Linie die Breite gaben und die gegnerischen Außenverteidiger an ebenjener banden.

Spanien variabel im Ballbesitz, aber ohne Durchschlagskraft

Bei Ballbesitz in der gegnerischen Hälfte sollte sich die Anordnung an den Flügeln etwas ändern. Die Rollenverteilung im Positionsspiel sollte sich aber zwischen linker und rechter Seite unterscheiden. Auf rechts markierte Außenverteidiger Dani Carvajal den Breitengeber, der sich sehr hoch positionierte. Youngster Lamine Yamal rückte in den rechten Halbraum.
Auf der linken Seite waren die Aufgaben hingegen umgekehrt verteilt. Hier war es Flügelspieler Nico Williams, der als Breitengeber auf Höhe der letzten gegnerischen Abwehrkette agierte. Während man Yamal auf der rechten Seite eher im Zwischenlinienraum freispielen wollte, war es auf links das Ziel, Williams in 1vs1-Duelle gegen den englischen Rechtsverteidiger Kyle Walker zu bringen. Der spanische Linksverteidiger Marc Cucurella positionierte sich in etwas eingerückter Position, war dabei in der Höhe jedoch variabler. Dies hing wiederum von Rodri ab, der seine Positionierung aufgrund der Manndeckung von Foden mit Fortdauer der ersten Halbzeit adaptierte.

Rodri (16) kippt zwischen die beiden Innenverteidiger ab, um einen Dreieraufbau in der ersten Linie herzustellen. So will sich der spanische Sechser von der Manndeckung Fodens (11) entledigen. Dadurch ergibt sich eine 4-4-2-Formation bei den Engländern. Der Dreieraufbau ermöglicht es den Innenverteidigern Le Normand (3) und Laporte (14) sich breiter zu positionieren. Dies wiederum bedeutet für die Außenverteidiger Cucrella (24) und Carvajal (2), dass sie in höhere Zonen schieben können. Das hatte den Effekt, dass Bellingham (10) und Saka (7) in tieferen Zonen gebunden werden. Auf rechts rückt Lamine Yamal (19) in den Halbraum, um zwischen den Linien anspielbar zu sein. Außenverteidiger Carvajal (2) hält die Breite und schiebt hoch. Auf der linken Seite ist es umgekehrt: Flügelstürmer Williams (17) bleibt breit und Außenverteidiger Cucurella rückt in den Halbraum.

Die Positionierung Cucurellas in der Halbspur sollte seinen direkten Gegenspieler Saka mehr Richtung Zentrum locken, sodass der Passweg Richtung Flügel auf Williams frei wurde, damit Innenverteidiger Laporte den jungen Flügelstürmer anspielen konnte. Dieser sollte dann ins 1vs1 gegen Kyle Walker gehen. Der englische Rechtsverteidiger konnte die 1vs1-Situationen meist gut lösen, sodass Williams in diesen Situationen kaum für Gefahr sorgen konnte. Das Attackieren Walkers öffnete wiederum die Schnittstelle zu seinem Innenverteidiger Stones. Cucurella nutzte dies für Tiefenläufe in genau diese Schnittstelle. Stones war jedoch ein stabiler Backup für Walker und kontrollierte diese Läufe sehr gut.

Wenn Rodri nicht in die erste Aufbaulinie abkippte, befand sich Cucurella in einer etwas tieferen Position, um dort anspielbar zu sein. Darüber hinaus startete er aus dieser Position auch immer wieder diagonale Laufwege Richtung Zentrum, um wieder den Passweg auf Nico Williams freizubekommen.

Mit Fortdauer des ersten Durchgangs gestalteten Cucurella und Williams ihr Positionsspiel dann etwas variabler, indem die beiden die Positionen tauschten. Williams war nun immer öfter in eingerückter Position zu finden und Cucurella agierte als Breitengeber an der letzten gegnerischen Abwehrkette. In diesem Fall war die englische Herangehensweise eine interessante.

Cucurella (24) und Williams (17) tauschen die Positionen. Die Engländer halten in diesem Fall nicht die 4-2-3-1-Formation, sondern agieren nun auch am Flügel mannorientiert. Saka (7) orientiert sich am hoch positionierten Cucurella, Walker (2) am eingerückten Williams. So ergab sich bei England situative eine Fünferkette.

In oben beschriebenen Konstellationen ergaben sich eigentlich gute Räume für die beiden äußeren Spieler des spanischen Dreieraufbaus, um dynamisch anzudribbeln und das Spiel weiter nach vorne zu tragen. Darüber hinaus hätte man sich die Mannorientierungen der englischen Sechser zu Nutze machen und den auf der rechten Seite eingerückten Lamine Yamal zwischen den Linien freispielen können. Sowohl das Andribbeln als auch die Spielverlagerung von halblinks auf halbrechts wurde jedoch zu selten genutzt. In Kombination mit der guten Defensivarbeit der Engländer in den Flügelzonen ergab sich also ein Spiel, indem Spanien zwar viel Ballbesitz hatte – Torchancen blieben jedoch Fehlanzeige. 

Eine chancenarme erste Halbzeit

Die Three Lions hatten in der ersten Halbzeit einen überschaubaren Ballbesitzanteil und fokussierten sich auf die Defensive. Doch welchen Ansatz verfolgte Gareth Southgate in den wenigen Ballbesitzphasen?

Wenn England das Spiel aufbaute agierten sie mit einer Dreierkette. Walker, Stones und Guéhi bildeten die erste Aufbaulinie. Saka positionierte sich hoch am rechten und Shaw ebenso hoch am linken Flügel. Das Zentrum überlud man mit den beiden Sechsern Mainoo und Rice sowie den beiden Achtern Bellingham und Foden. Kane sollte die beiden gegnerischen Innenverteidiger an der letzten Linie beschäftigen.

Spanien spielte gegen den Ball in einem 4-2-3-1. Doch auch die Furja Roja setzte auf Mannorientierungen im Zentrum, weshalb sich die Formation immer wieder in ein 4-1-4-1 änderte. Die beiden englischen Sechser Mainoo (26) und Rice (4) werden von Ruiz (8) und Olmo (10) zugestellt. Dahinter kümmert sich Rodri (16) um den als Achter positionierten Bellingham (10). Ruiz lässt sich durch die Mannorientierung aus seiner Position locken. Dies hat zur Folge, dass Foden (11) der freie Mann im zentralen Mittelfeld wird.

In der Theorie ergab sich im Mittelfeldzentrum somit eine 4vs3-Überzahl pro England. Diese wurde vom jeweiligen spanischen Innenverteidiger (Laporte oder Le Normand) kompensiert, indem dieser im Bedarfsfall aus der Viererkette schob. Dies verhinderte, dass der freie Achter (Foden oder Bellingham) zwischen den Linien aufdrehen und auf die letzte gegnerische Kette dribbeln konnte. Somit sahen sich die englischen Achter oftmals gezwungen, den Ball wieder zurück in die erste Aufbaulinie zu spielen. Das Herausstechen des Innenverteidigers hätte Räume für Tiefenläufe der Engländer geöffnet. Doch Harry Kane gilt nicht unbedingt als sprintstarker Stürmer, der diese Räume hätte nutzen können.

Somit ergaben sich für England wenige und meist kurze Ballbesitzphasen und die Spanier wirkten in der ersten Halbzeit dominant. Die Ballbesitzstatistik sprach zum Ende des ersten Abschnitts mit 70:30 pro Spanien eine deutliche Sprache. Beide Seiten taten sich jedoch schwer, Torchancen zu erarbeiten und es ergab sich eine zähe erste Halbzeit. In der Nachspielzeit fand England die beste aller bisherigen Torchancen vor, doch Phil Foden vergab nach einer Freistoßflanke. Es ging also mit 0:0 in die Kabinen.

Spanien erwischt den perfekten Restart

So ereignislos der erste Durchgang war – Spielhälfte 2 sollte mit einem Paukenschlag beginnen. Doch der Reihe nach. Spanien musste zum Wiederanpfiff einen Wechsel vornehmen. Zubimendi kam für Rodri in die Partie. Zunächst schien es, als ob die Spanier durch diesen Wechsel einen Qualitätsverlust erleiden würden, war Rodri doch das Herz des spanischen Spiels im bisherigen Turnierverlauf gewesen. Doch gerade dieser Wechsel schien die Engländer zunächst ein wenig aus dem Konzept zu bringen. Es schien nicht klar zu sein, ob die mannorientierte Herangehensweise im Zentrum beibehalten werden soll oder nicht. So sah man zu Beginn des zweiten Abschnitts bei den Engländern oft eine 4-4-2-Formation gegen den Ball. In der 47. Minute konnten die Spanier diese Verwirrung und das taktische Fehlverhalten einiger englischen Spieler nutzen und das vielumjubelte 1:0 erzielen.

Ruiz (8) kippt in die erste Aufbaulinie ab. Carvajal (2) nimmt somit eine höhere Position am Flügel ein und Yamal (19) schiebt wieder in den Halbraum. Bellingham (10) und Shaw (3) stehen beide im luftleeren Raum und können weder Carvajal noch Yamal kontrollieren. Shaw muss die schlechte Positionierung Bellinghams kompensieren, indem er Carvajal unter Druck setzt. Yamal wird so zum freien Mann in der Halbspur. Shaw kommt zu spät und Carvajal kann Yamal im Halbraum anspielen. Innenverteidiger Guéhi muss nun Yamal unter Druck setzen, der allerdings genug Raum vorfindet, um Richtung Zentrum zu dribbeln. Sowohl Morata (7) als auch Olmo (10) ziehen durch Tiefenläufe ihre direkten Gegenspieler Stones (5) und Walker (2) mit sich mit und öffnen die ballferne Seite. Yamal kann Nico Williams (17) anspielen, der den Ball zum Führungstreffer für Spanien versenkt.

Spanien schaffte also gleich zu Beginn der zweiten Halbzeit genau das, was ihnen im ersten Durchgang nicht gelang: Das Erspielen einer hochkarätigen Torchance samt Torerfolg aus einer ihrer unzähligen langen Ballbesitzphasen heraus. Mit dem Führungstreffer kam Bewegung in das Geschehen auf dem Rasen des Berliner Olympiastadions. England musste nun reagieren, doch unmittelbar nach dem Führungstreffer waren es die Spanier, die für ordentlich Druck sorgen konnten.

England wirkte zunächst geschockt und war immer noch unsicher, wie die Herangehensweise gegen den Ball nun aussehen sollte. Dies lag unter anderem auch daran, dass Spanien die Anordnung im zentralen Mittelfeld leicht abänderte. Fabian Ruiz nahm eine tiefere Position ein und bildete nun gemeinsam mit dem eingewechselten Zubimendi eine Doppelsechs vor den beiden Innenverteidigern. Einer der beiden Sechser sollte auch immer wieder in die erste Aufbaulinie abkippen, wie in der vorhergehenden Grafik beschrieben. Foden hatte nun eine schwimmende Rolle im Spiel gegen den Ball. Einerseits sollte er weiterhin seinen gegnerischen Sechser zustellen. Andererseits ließ er sich auch immer wieder aus dieser Position locken, um den gegnerischen Innenverteidiger unter Druck zu setzen.

Foden (11) presst Le Normand (3) und lässt Zubimendi (18) dadurch frei. Um dies zu kompensieren schiebt Rice (4) eine Position weiter vor, um Foden abzusichern bzw. das Zuspiel auf Zubimendi zu verhindern. Mainoo (26) spielt mannorientiert auf Ruiz (8). Dies hat zur Folge, dass Olmo (10) nun im Zwischenlinienraum zum freien Mann wird.

Die Tatsache, dass Olmo zwischen den Linienraum frei war zwang einen der englischen Innenverteidiger, aus der Kette zu schieben und ihn zuzustellen. Dies wiederum ergab ein 1vs1 zwischen Mittelstürmer Morata und dem zweiten englischen Innenverteidiger, der seine Position hielt. So kam es, dass die Spanier zu Beginn der zweiten Halbzeit immer wieder den gezielten langen Ball auf ihren Kapitän einstreuten. Ein solcher langer sollte Dani Olmo wenige Augenblicke nach dem Führungstreffer die Möglichkeit auf das 2:0 offenbaren, der Spanier konnte diese jedoch nicht nützen.

England ergriff nun vermehrt die Initiative und kam zu längeren Ballbesitzphasen. Jedoch sollten diese zunächst in keinerlei Torchancen umgemünzt werden können. Wenn die Spanier hingegen das Spielgerät in den eigenen Reihen hielten ging es mit Fortdauer der Partie darum, das Spiel zu kontrollieren und den Gegner müde zu spielen. Die beschriebenen Zuordnungsprobleme im zentralen Mittelfeld bekamen die Three Lions zunächst nicht in den Griff und die Spanier konnten ihren Spielaufbau immer wieder über die Sechser einleiten. Exakt jenen Aspekt des spanischen Aufbauspiels, den England in den ersten 45 Minuten hervorragend unterband schien nun nur noch selten zu gelingen. Eine Doppelchance von Morata und Williams in Minute 56 hätte zumindest einen weiteren Treffer für die Furja Roja bedeuten können.

England trifft und kehrt zum ursprünglichen Plan zurück

Gareth Southgate sah sich nun gezwungen, Änderungen vorzunehmen. In der 60. Minute nahm er seinen Kapitän Harry Kane vom Feld und ersetzte ihn durch Ollie Watkins. Mit der Hereinnahme des Stürmers von Aston Villa erhoffte man sich mehr Tempo und Tiefgang im Sturmzentrum. Doch erst der nächste Wechsel rund 10 Minuten später sollte grundlegende taktische Veränderungen mit sich bringen. Cole Palmer kam für Kobbie Mainoo in die Partie. Palmer ist ein offensiver ausgerichteter Spieler als Palmer und nahm die Zehnerposition von Foden ein. Bellingham rückte nominell zurück auf die Sechserposition. Foden wechselte auf den linken Flügel. Der offensive Impact sollte nun erhöht werden. Mit Declan Rice blieb nur noch ein defensiv orientierter Sechser im Mittelfeldzentrum übrig.

Cole Palmer gelang es auf Anhieb, dem Spiel seinen Stempel aufzudrücken. Ganze drei Minuten nach seiner Einwechslung besorgte er den Ausgleichstreffer. Ursprung des Treffers war eine vergebene Chance der Spanier. Pickford fing den Schuss eines Spaniers und machte das Spiel schnell. Er suchte Zielspieler Watkins und der Konter nahm seinen Lauf. Der spanische Linksverteidiger Cucurella ließ sich dazu hinreißen Watkins im Zentrum unter Druck zu setzen und öffnete somit einen riesigen Raum auf der rechten Angriffsseite Englands, in dem Saka völlig freistand. Saka nutzt dies für ein Dribbling samt anschließender in das letzte Drittel samt Hereingabe auf Bellingham. Dieser ließ clever in den Rückraum auf den nachrückenden Palmer abtropfen und der gerade eben eingewechselte Mittelfeldspieler konnte per überlegten Innenristschuss in die lange Ecke zum Ausgleich scoren. 1:1 – nun war also wieder alles offen. Doch auch in taktischer Hinsicht sollten die Engländer zurück zu ihren Wurzeln kehren.

Mit den offensiver orientierten Palmer (24) und Bellingham (10) stellten die Engländer nun die beiden Sechser Ruiz (8) und Zubimendi (18) zu. Man opferte somit einen zweiten Spieler in der ersten Pressinglinie, sodass Rice (4) sich an Olmo (10) orientieren konnte, der zu Beginn der zweiten Hälfte immer wieder frei im Zwischenlinienraum vorzufinden war. England kehrte also wieder zum ursprünglichen Plan zurück, durch Mannorientierungen das spanische Mittelfeld zu neutralisieren.

Unbeeindruckte Spanier entscheiden das Spiel

Der große Nachteil an dieser Herangehensweise war, dass sich für England in der ersten Pressinglinie eine 1vs2-Unterzahl ergab. Ollie Watkins musste beide Innenverteidiger unter Druck setzen, die als Backup auch immer noch Keeper Unai Simon als Anspielstation zur Verfügung hatten. Wenn nach einigen Zuspielen zwischen den Innenverteidigern und dem Torhüter einer der englischen zentralen Mittelfeldspieler in die erste Pressinglinie schob, um den gegnerischen Innenverteidiger unter Druck zu setzen schafften es die Spanier nahezu jedes Mal, den dadurch freiwerdenden Mann im Mittelfeldzentrum zu finden. Die Spanier konnten das Spiel so in einer Phase, in der man das Gefühl hatte, dass das Momentum nun auf englischer Seite war, weiterhin kontrollieren. Mit einem weiterhin hohen Ballbesitzanteil und der einen oder anderen weiteren Torchance ließ man sich vom Ausgleich nicht aus der Fassung bringen. In der 82. Minute vergab Yamine Lamal, dessen Schuss von Jordan Pickford pariert werden konnte.

England hingegen wirkte im eigenen Ballbesitz ideenlos und schlug immer wieder planlose lange Bälle in Richtung der letzten gegnerischen Abwehrlinie. Diese Angriffsbemühungen verpufften, da die langen Bälle stets in Ballverlusten mündeten. Und die Folgeaktion eines solchen langen Balls sollte in der 86. Minute auch die Entscheidung in diesem Finale bringen.

Ein langer Ball, der im Seitenout landete, riss große Lücken in die englische Formation. Watkins, Saka, Palmer und Foden waren nach vorne gesprintet, um den Ball verwerten und angreifen zu können. Der restliche Mannschaftsblock war allerdings nicht schnell genug nachgerückt. Die Spanier konnten die großen Lücken zwischen den gegnerischen Verteidigungslinien nutzen, um Olmo im Zentrum freizuspielen. Die spanische Nummer 10 konnte aufdrehen und den eingewechselten Mittelstürmer Oyarzabal anspielen. Dieser ließ den Ball auf den linken Flügel abtropfen, wo Cucurella einen Sprint über das gesamte Feld hinlegte. Dieser schlug den Ball mit dem ersten Kontakt flach zwischen die englische Abwehrkette und Kepper Jordan Pickford. Oyarzabal verwertete die Hereingabe zum erneuten Führungstreffer für Spanien.

Mit dem Mute der Verzweiflung versuchte England nun noch einmal alles, um den Ausgleich zu erzielen und die damit einhergehende Verlängerung zu erzwingen. Bezeichnenderweise sollte die große Ausgleichschance nach einer Ecke erfolgen. Doch Kepper Unai Simon und Dani Olmo konnten zwei Kopfbälle von Rice und Guéhi auf der Linie abwehren, bevor erneute Rice zum Kopfball kam und das Leder über das spanische Tor setzte. Eine unfassbare Triplechance, die den Abschluss einer ereignisreichen zweiten Halbzeit darstellte.

Fazit

Spanien krönte sich zum verdienten Europameister 2024. Einerseits aufgrund der gezeigten Leistungen über das gesamte Turnier hinweg, in welchem man jedes einzelne Spiel gewinnen konnte. Andererseits aufgrund der gezeigten Leistung im Endspiel. In der ersten Halbzeit fand man noch kein probates Mittel, um den hohen Ballbesitzanteil in Tore ummünzen zu können. Trotzdem hatte man stets die Spielkontrolle in der eigenen Hand.

 

Quelle: Wyscout S.p.a.

Der Blitzstart in der zweiten Hälfte diente allerdings als Dosenöffner für eine ereignisreichere zweite Halbzeit, in der die Furja Roja stets die Spielkontrolle zu behalten schien. So kam die siegreiche Elf am Ende zu einen Ballbesitzanteil von 65%.

Die Engländer bzw. Gareth Southgate müssen sich wohl die eine oder andere Frage gefallen lassen. Es erschien beispielsweise nicht nachvollziehbar, den in der ersten Halbzeit gut funktionierenden Matchplan gegen den Ball zu adaptieren und die Mannorientierungen im zentralen Mittelfeld aufzulockern. Dies war einer der Schlüssel, warum sich die Spanier in den ersten 45 Minuten so schwer taten für Torgefahr zu sorgen.

Darüber hinaus war Jude Bellingham als nomineller linker Mittelfeldspieler suboptimal eingesetzt, was man vor allem in der Entstehung zum 1:0 erkennen konnte. Der Ballbesitzanteil war trotz individueller Klasse verschwindend gering, weswegen man nie wirklich die Spielkontrolle erlangen konnte.

 

Quelle: Wyscout S.p.a.

Nicht einmal unmittelbar nach dem Ausgleich durch Cole Palmer schafften es die Three Lions, das Heft in die Hand zu nehmen. Im Gegenteil – Spanien behielt die Partie weiterhin unter Kontrolle und kam zum verdienten Siegtreffer durch den eingewechselten Mikel Oyarzabal, nachdem den Engländern einer der unzähligen planlosen langen Bälle um die Ohren flog. So kam es, dass die am konstantesten performende Mannschaft dieses Turniers am Ende den Pokal stemmen durfte.