Teamanalyse: Die Niederlande bei der UEFA EURO 2024
Der niederländische Fußball hat einige der besten Spieler der Welt hervorgebracht, allen voran Johan Cruyff. Doch in der Geschichte der Nationalmannschaft fehlen noch ein wenig die Titel. Nur die Europameisterschaft 1988 gewann die Elftal, dreimal flog man von einer WM mit der Silbermedaille nach Hause.
Aus dem Tief der späten 2010er-Jahre, in welchem man die EM 2016 und WM 2018 verpasste, kam „Oranje“ mittlerweile wieder heraus. Ronald Koeman ist aktueller Bondscoach und passt zur niederländischen Fußballidentität, war er doch Teil beim Triumph 1988, der sich ebenfalls in Deutschland zugetragen hat. Dieses Jahr findet das Finale ebenfalls im Olympiastadion statt, jedoch nicht in München wie vor 36 Jahren, sondern in Berlin.
Das Problem bei Koemans Mannschaft ist aktuell, dass man gegen große Gegner nicht gewinnt. So verlor man gegen Italien, Kroatien, Frankreich und Deutschland im Verlauf der letzten zwölf Monate. Die Gruppengegner Österreich und Polen sind demgegenüber eine Nummer kleiner, was einen Hoffnungsschimmer für die Elftal darstellt.
Torhüter
Drei Neulinge sind im niederländischen Torhüter-Trio dabei und keiner von ihnen hat über zehn Länderspiele absolviert. Seit Oktober 2023 ist Bart Verbruggen die Nummer eins von Oranje. Beim als erfolgreichen Ausbildungsklub bekannten Brighton stand der 21-Jährige in nur 27 von 50 Spielen in der Startelf und ist nicht unumstritten.
Justin Bijlow ist einer der zwei Verfolger Verbruggens. Auch er absolvierte nur die Hälfte der Spiele beim niederländischen Meister Feyenoord, was sich aber durch verletzungsbedingte Ausfälle erklärt. In seinen 24 Einsätzen hielt er immerhin neunmal die Null.
Der andere Anwärter heißt Mark Flekken. Beim Brentford FC ist er zwar gesetzt, fand sich aber im Nationaldress öfter auf der Bank als auf dem Platz wieder. Selbiges wird ihm auch in Deutschland bei der EM widerfahren. Über echte Weltklassekeeper verfügen die Niederländer also keineswegs.
Verteidigung
In den letzten Partien experimentierte Koeman mit der Formation, es wird wohl eine Dreier- bzw. Fünferkette werden. Wichtigster Spieler ist dabei zweifelsohne Liverpool-Star Virgil van Dijk, der Kapitän und Führungsspieler ist das zentrale Puzzlestück der niederländischen Abwehr. Jedoch sind mit Stefan de Vrij und Nathan Aké, die in Italien bzw. England Meister wurden, zwei starke Optionen mit an Bord. Bayern Münchens Matthijs de Ligt, der in den letzten Monaten durch Verletzung öfters für die Elftal aussetzen musste, ist der dritte wichtige Innenverteidiger der Dreierkette. Zudem ist auch noch Micky van de Ven dabei.
Links setzt Koeman auf Altstar Daley Blind. Der Routinier ist mittlerweile beim FC Girona aktiv und bringt mit 34 Jahren viel Spielintelligenz mit. Bei einer Umstellung auf Viererkette kann auch Nathan Aké als Linksverteidiger eingesetzt werden, für Manchester City spielte er in dieser Rolle bereits 29-mal. Ian Maatsen, Stammspieler beim BVB, erhielt noch kurzfristig die Zusage, dass er mit in das Land seines Arbeitgebers fahren darf.
Die rechte Schiene beackert Denzel Dumfries, Teamkollege von De Vrij bei Inter Mailand. Seine Kopfballstärke paart er mit seinem vertikalen Passspiel und der für seine Position verhältnismäßig großen Torgefährlichkeit, wodurch eine erfolgversprechende Mischung entsteht. Auch Leverkusen-Star Jeremie Frimpong bringt als Flügelverteidiger einen gewaltigen Zug nach vorne mit.
Mittelfeld
Der wichtigste Spieler im niederländischen Mittelfeld wird nicht an der Europameisterschaft teilnehmen. Frenkie de Jong wäre Stammspieler, ist nach einer Verletzung aber nicht bei 100% und traf gemeinsam mit dem Trainerstab die Entscheidung, nicht nach Deutschland mitzufahren.
Dies eröffnet neue Möglichkeiten für die drei Neulinge Tijani Reijnders (AC Milan) sowie Jerdy Schouten und Joey Veerman (beide PSV) haben gemeinsam erst 21 Länderspiele bestritten. Schouten und Veerman sind aber ein vertrautes Duo, 37-mal standen sie in der abgelaufenen Saison gemeinsam auf dem Platz, zuletzt auch in den beiden Testpartien gegen Kanada und Island, die beide mit 4:0 gewonnen wurden. Ryan Gravenberch findet sich in seiner ersten Liverpool-Saison gerade erst in England ein, spielte im Schnitt nur 48 Minuten pro Spiel.
In die Offensive orientieren sich Jungspund Xavi Simons, Routinier Georginio Wijnaldum sowie Teun Koopmeiners. Letzterer hatte zuletzt ebenfalls mit Verletzungsproblemen zu kämpfen, wodurch Simons und Wijnaldum, die bei RB Leipzig bzw. Al-Ettifaq regelmäßig zum Einsatz kommen, bevorzugt werden. Qualität hat das niederländische Mittelfeld also, doch zum jetzigen Zeitpunkt ist es nicht auf 100% und der De-Jong-Ausfall schmerzt schlussendlich doch.
Angriff
Sechs Spieler sind nominell für den Angriff dabei. Der Mittelstürmer, der in der Startelf zu finden sein wird, heißt Wout Weghorst. Der 33-jährige Hoffenheim-Zielspieler traf sechsmal in den letzten zehn Länderspielen, insgesamt ist er jedes dritte Spiel an einem Tor für sein Heimatland beteiligt. Mit dabei ist auch Memphis Depay, der im Gegensatz zum physisch starken Weghorst mehr Dynamik mitbringt und mit 45 Treffern hinter Robin van Persie in der ewigen Torschützenliste lauert. Gegen Österreich verwandelte er einen Elfmeter beim 2:0-Sieg bei der letzten EURO.
Neu dabei ist Brian Brobbey, der mit 34 Scorern in 43 Einsätzen in der abgelaufenen Saison einer der wenigen Lichtblicke bei Ajax Amsterdam war. Zwar spielte er erst zweifach im orangenen Trikot, bringt mit seinen 22 Jahren aber eine ordentliche Power und große Durchschlagskraft mit.
Cody Gakpo ist der wahrscheinlichste Flügelstarter, kann aber auch in der Sturmmitte spielen. Seine Spieldaten lesen sich in quasi allen Aspekten sehr gut: Tore, Vorlagen, progressive Pässe und Dribblings ohnehin, aber auch bei Tacklings und Balleroberungen ist er im Teamvergleich weit vorne. Ein offensiver Allrounder, der sich für Arbeit gegen den Ball nicht zu schade ist.
Ähnlich sieht dies bei Ajax-Kapitän Steven Bergwijn aus, defensiv ist dieser jedoch weniger aktiv, weshalb ihm ein Bankplatz winken wird. BVB-Angreifer Donyell Malen schließt den Kader ab. Koeman setzt auf den 25-Jährigen, der im letzten Testspiel gegen Island das Vertrauen mit je einem Tor und einer Vorlage nach Einwechslung zurückzahlte.
Trainer
Ronald Koeman ist eine der wichtigsten Persönlichkeiten im niederländischen Fußball. Als Bondscoach experimentierte er immer wieder mit der Formation, wechselte oft zwischen Dreier- und Viererkette, geht aber nicht ganz einher mit der traditionellen niederländischen Art, Fußball zu spielen. Koeman unterscheidet sich so, dass er einen vertikaleren Stil spielen lässt und der Ball nicht zum Tor getragen werden soll. Die Elftal formte er so zu einer Gewinnermannschaft, die aber in größeren Spielen oft das Nachsehen hat: Nur für Platz vier reichte es in der abgelaufenen Nations League.
Gesamtbewertung
Ein gefährlicher Gegner ist die Elftal allemal, doch es gibt einen großen Kritikpunkt bezüglich der Mannschaft: Sie ist schlichtweg nicht in allen Mannschaftsteilen in Top-Form. Viele Spieler sind bei ihren jeweiligen Vereinen nicht unangefochtene Stammspieler, sondern verbringen einen signifikanten Teil der Zeit auf der Ersatzbank, weshalb manchen der Spielrhythmus etwas abhandenkam. Zudem hat man ein paar schmerzliche Ausfälle zu verkraften. Allen voran wird man Frenkie de Jong vermissen, kann aber auch nicht auf die Dienste von Marten de Roon, Sven Botman oder Tyrell Malacia zurückgreifen.
Von der letzten Europameisterschaft kennt man Österreich bereits – und mit ebendiesem Gegner wird man wohl um Platz zwei kämpfen.
Die Niederlande in Gruppe D
Sonntag, 16.6., 15 Uhr | Polen – Niederlande (Hamburg)
Freitag, 21.6., 21 Uhr | Niederlande – Frankreich (Leipzig)
Dienstag, 25.6., 21 Uhr | Niederlande – Österreich (Berlin)