Holstein Kiels U19-Trainer Dominik Glawogger: „Diese Situation kann eine große Chance sein“
Für Trainer Dominik Glawogger lief es mit Holstein Kiels U19 vor der coronabedingten Pause gut. Der Österreicher ist mit den Kielern gleich in seiner ersten Saison in die A-Junioren-Bundesliga aufgestiegen und steuert auf das große Saisonziel Klassenerhalt zu. Doch wie schaut der Alltag eines Trainers jetzt aus? Welche Chance birgt die Corona-Pause für Fußballer? Wir haben uns mit Glawogger darüber unterhalten.
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12terMann.at: Wie geht es dir in der Situation?
Dominik Glawogger: Ich habe einen Job, der extrem viel Spaß macht. Daher vermisse ich das Umfeld, das Zusammensein mit den Kollegen im Verein, die Arbeit mit der Mannschaft auf dem Trainingsplatz und natürlich auch den Reiz des Spieltages am Wochenende. Ich bin momentan in Kiel – ich wollte kein Risiko eingehen. Bei einer Reise nach Österreich hätte ich zwei Wochen in Quarantäne gehen müssen und nach meiner Rückkehr nach Deutschland genauso. Aber ich wollte für den Fall, dass es mit der Liga weitergeht immer sofort bereit sein.
Wie schaut dein Tag als Trainer derzeit aus?
Im Moment ist es wichtig, dass man eine Struktur in seinem Tag hat. Also feste Abläufe und gewisse Rituale. Es beginnt damit, dass man immer zur gleichen Zeit aufsteht und vormittags Inhalte hat, mit denen man sich beschäftigt. Ich kümmere mich hier meistens ums Netzwerken und den Austausch mit anderen, auch meinen Trainerkollegen. Dann stehen eine klassische Mittagspause und eine Runde Sport an. Am Nachmittag geht es darum, sich wieder mit seiner eigenen Mannschaft zu beschäftigen – also etwa Videos von alten Spielen anzuschauen. Wir haben jetzt an unseren Spielprinzipien gearbeitet. Wir müssen auch regelmäßig Aufgabenstellungen für die Spieler ausarbeiten und den Spielern ein Feedback geben. Eine gute Abstimmung mit dem Athletiktrainer ist auch wichtig.
Derzeit befinden sich ja eigentlich fast alle Vereine im Home-Training. Wie schaut der Trainingsplan bei euch im Team aus?
In der U19 absolvieren wir zwei Mal in der Woche ein gemeinsames Workout per Videokonferenz. Dazu gibt es noch drei weitere Trainingseinheiten, in denen es um Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit geht – das absolvieren die Spieler individuell. Wir haben auch einmal in der Woche die ‚Beat the Coach-Challenge‘. Einer meiner beiden Co-Trainer läuft eine Strecke in einer gewissen Zeit – drei, fünf, sieben und zehn Kilometer haben wir bis jetzt gehabt. Die Spieler müssen einen der Beiden schlagen und schneller sein. Um auch im Kopf beim Thema zu bleiben, gibt es regelmäßig Beobachtungsaufgaben in Form von Videos, die wir mit den Spielern teilen. Durch regelmäßiges Feedback kommen wir auch automatisch in den Austausch mit Spielern. Die erste Mannschaft war zwei Wochen komplett in Quarantäne und trainiert seit letzter Woche in Kleingruppen – also maximal sechs Spieler pro Gruppe auf der Anlage.
Du trainierst ja große Nachwuchstalente. Wie gehen die jungen Burschen mit dieser schwierigen Situation um?
Ich habe den Eindruck, dass die Mannschaft sehr professionell und sehr gut mit dieser Situation umgeht. Die Spieler dokumentieren ihre Einheiten sehr gewissenhaft und sind immer mit viel Engagement in den gemeinsamen Video-Workout dabei. Ich habe ihnen auch versucht zu sagen, dass diese Situation eine große Chance sein kann. Wenn man diese Zeit gut für sich nutzt, dann kann man im Verhältnis zu seinen Mitstreitern im bundesweiten Vergleich einiges aufholen beziehungsweise sich deutlich weiterentwickeln.
Weißt du schon, wie es mit der diesjährigen A-Junioren-Bundesliga weitergehen könnte?
Es steht mir da nicht zu, irgendwelche Schätzungen oder Vorschläge abzugeben. Wir sollen am 30. April Informationen bekommen, ob und wie es weitergeht.
Du hast von einer Chance in dieser Krise gesprochen. Was meinst du damit genau?
Ich habe ein spannendes Zitat einer deutschen Moderatorin gelesen. „Akzeptierst du, dass in jeder Krise eine Chance steckt, dann nimmst du der Krise schon sehr viel Macht über dich.“ So haben wir es auch versucht den Spielern zu beschreiben. In der aktuellen Phase fallen Reisestrapazen, private Termine, Schule und viele andere Dinge, die einen im Leben ablenken könnten, einfach weg. Daher kann sich ein Spieler jetzt noch intensiver mit dem eigenen Körper beschäftigen. Das heißt zum Beispiel, sich im Kraftbereich auf ein neues Level zu bringen, oder einfach die Zeit zu nutzen, um besser zu werden und dann diesen Vorteil gegenüber anderen auszunutzen. Der zweite Punkt der Krise ist etwas gesellschaftspolitischer. Ich denke, dass es vielen Menschen auch einmal guttut, einen Gang runterzuschalten und zu reflektieren, wie sich die letzten Jahre – und in welchem Tempo wir uns in den letzten Jahren – entwickelt haben. Der Umwelt gibt es auch eine Möglichkeit, sich zumindest kurzfristig zu erholen. Andererseits ist es für die Wirtschaft ein großes Problem, das ich nicht außer Acht lassen möchte. Ich fühle mit allen, die derzeit durch finanziell schwierige Phasen gehen oder jetzt in ihrem Beruf auch noch schwierigere Arbeitsbedingungen vorfinden. Deshalb gibt es für mich, bei dem sich außer einem geringeren Arbeitsaufwand und dem fehlenden Spannungsgrad nichts verändert hat, überhaupt keinen Grund, sich über etwas zu beschweren.
(Interview wird unten fortgesetzt.)
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Die Saison ist ja gut gelaufen. Das Ziel Klassenerhalt war ja vor der Corona-Unterbrechung sehr nah. Wie zufrieden bist du mit dem Saisonverlauf?
Wir haben die Ziele des Vereins in den letzten eineinhalb Jahren zu hundert Prozent umgesetzt. Wir sind aufgestiegen, wir sind in den DFB-Junioren-Pokal eingezogen und sind in der A-Junioren-Bundesliga derzeit sechs Punkte über dem ominösen Strich. Natürlich ist man immer ehrgeizig und ärgert sich, in gewissen Spielen Punkte liegengelassen zu haben. Das Wichtigste ist, dass man daraus lernt, die richtigen Schlüsse daraus zieht und die Entwicklung von Mannschaft und Trainerteam weiter vorantreibt.
Bleiben wir bei aktuellen Geschehnissen. Pal Dardai übernimmt ab kommender Saison eine Jugendmannschaft bei Hertha – letzte Saison war er noch in der Bundesliga Cheftrainer. Wie siehst du sein Engagement im deutschen Jugendfußball?
Es gibt hier ja noch mehr Trainer mit Bundesliga-Erfahrung. Ich denke da an Dortmunds U19-Trainer Michael Skibbe, der zuvor Leverkusen, Galatasaray oder die griechische Nationalmannschaft trainiert hat. Oder auch an Stefan Ruthenbeck vom 1. FC Köln, der auch die erste Mannschaft Kölns betreut hat. Dazu Stephan Schmidt aus unserer Liga, der Trainer bei Paderborn war, und Nico Willig vom VfB Stuttgart, der letztes Jahr die Stuttgarter in der Bundesliga betreut hat. Das zeigt, welch hohe Dichte an erfahrenen und hochqualifizierten Trainern sich speziell im Junioren-Leistungsbereich in Deutschland tummelt.
Kann sowas auch eine große Chance für junge Trainer wie dich sein, dass Ex-Bundesliga-Trainer im Jugendfußball tätig sind? Mehr Aufmerksamkeit, noch höherer Stellenwert?
Die U19-Bundesliga hat jetzt schon einen enormen Stellenwert. In der letzten Saison waren beim U19-Meisterschaftsfinale zwischen dem BVB und Stuttgart über 8.000 Zuschauer dabei – das DFB-Pokal-Finale zwischen RB Leipzig und Stuttgart haben über 2.500 Zuseher verfolgt. Es gibt Livestream-Übertragungen von den Spielen und es schauen sich zahlreiche Scouts oder Agenten aus ganz Europa die Partien an – das unterstreicht für mich die Bedeutung der Junioren-Bundesligen in Deutschland.
Wie schaut eigentlich eure Saisonplanung für 2020/21 aus? Kann man in der derzeitigen Situation vorplanen oder ist das schwer?
Da muss ich ein großes Lob an den Verein aussprechen. Letztes Jahr wurde der komplette Scouting-Bereich professionalisiert. Der Verein hat sich für diese Saison das Ziel gesetzt, viel früher die Kaderplanungen voranzutreiben. Wir haben auch durch gute Ergebnisse unseren Teil dazu beigetragen, dass wir weiter in der A-Junioren-Bundesliga spielen. Deshalb konnten wir bis zum Winter unser Ziel erreichen und sagen, dass der Großteil der Mannschaft für die neue Saison steht. Die letzten Monate sind dazu da, Spieler noch von extern zu holen oder bei dem einen oder anderen Spieler in den eigenen Reihen abzuwarten, in welche Richtung es geht. Ich bin aber tendenziell dafür, dass es immer besser ist, mit den eigenen Spielern im Verein zu arbeiten und den eigenen Jungs das Vertrauen zu geben. Deshalb mache ich mir für die Planungen der kommenden Saison keine Sorgen.
Wie denkst du, wird sich der Fußball nach der Corona-Krise in Deutschland verändern?
Wenn ich das wüsste, wie sich der Fußball nach dieser Zeit verändert, dann wäre ich als Berater vieler Fußballvereine wohl sehr gefragt im Moment. Ich will es mir nicht anmaßen, einen Ausblick zu geben – es spielen nämlich so viele Faktoren mit. Bei der Wertung der aktuellen Saison werden auch nie alle Beteiligten zufrieden sein. Das einzige, was bleiben wird, sind die Erlebnisse und die Momente, die wir in dieser Saison erfahren durften. Die Emotionen, die man gemeinsam erlebt hat, werden bei jedem Spieler, Trainer und Funktionär in Erinnerung bleiben. Da geht es dann nicht darum, wie die Tabelle am Ende des Tages aussieht. Wichtig ist, dass Experten entscheiden und dass dann alle mitziehen, sich solidarisch verhalten und das Beste aus der Situation machen.