EM-Qualifikation / Österreich vs. Montenegro – Vorbericht
„Wir brauchen uns nicht verstecken.“
In der aktuellen Ausgabe des ballesterer spricht Reinhard Krennhuber mit Branko Boskovic über den morgigen ÖFB-EM-Qualifikationsgegner Montenegro. Wir dürfen euch den Text aus dem 95. ballesterer-Magazin freundlicherweise online präsentieren – viel Spaß beim Lesen (der nächste ballesterer erscheint übrigens am 14.10.2014)!
Am 12. Oktober trifft Österreich erstmals in der Geschichte auf das Nationalteam aus Montenegro. Branko Boskovic gibt seinen Landsleuten in der EM-Qualifikation durchaus Chancen, auch wenn die Mannschaft einige Probleme plagen.
Quer durch Europa beginnen die Meisterschaften, aber Branko Boskovic steht nicht auf dem Fußballplatz. Der 34-Jährige, dessen Vertrag beim SK Rapid im Sommer nicht verlängert wurde, hat noch keinen neuen Verein gefunden. Der ballesterer erreicht ihn kurz vor Transferschluss telefonisch während eines Belgrad-Besuchs. Sein Agent stehe in Verhandlungen mit einem Klub aus Malaysia, wo die Meisterschaft erst im Oktober starte, sagt Boskovic. „Es hat zwar auch Angebote aus Europa gegeben, aber da hätte ich zu wenig verdient. Ich kann maximal noch ein, zwei Jahre spielen, da muss das passen.“
Wenige Tage zuvor hat der montenegrinische Teamchef Branko Brnovic seinen Kader für das Auftaktspiel in der EM-Qualifikationsgruppe G gegen Moldawien bekannt gegeben. Boskovic, im letzten Test der Montenegriner – einem 0:0 gegen den Iran im Mai in Hartberg – noch in der Startelf, scheint darin nicht auf. Enttäuscht sei er deshalb nicht. „Ich habe seit drei Monaten nicht mit einer Mannschaft trainiert“, sagt der Mittelfeldspieler. „Daher habe ich auch nicht erwarten können, dass ich dabei bin. Ich will auch niemandem den Platz wegnehmen.“
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Keine Rede vom Gruppensieg
Boskovic‘ Kontakte zur Mannschaft sind dennoch intakt. Wenn er über die Erwartungen Montenegros für die EM-Qualifikation spricht, klingt es, als sei er noch Teil des Teams. Boskovic erwartet ein enges Rennen um die ersten beiden Plätze, die eine EM-Teilnahme garantieren, und den Play-off-Platz. „Ein Ziel auszugeben, ist nicht leicht, die Gruppe ist sehr ausgeglichen. Wahrscheinlich will auch Moldawien Dritter werden. Von daher würde ich sagen: Lassen wir die großen Mannschaften über den Gruppensieg und den zweiten Platz reden und schauen wir, was möglich ist“, sagt Boskovic.
Etwas klarer in seinen Prognosen wird da schon Montenegros Tormann Vukasin Poleksic. „Es ist eine der schwersten Gruppen, aber unser Ziel ist Platz drei. Wir wollen zumindest über die Barrage zur EM“, sagte der Debrecen-Legionär vor dem Match gegen Moldawien zur Tageszeitung Vijesti. „Wir haben eine gute Mannschaft und in den letzten Qualifikationen Erfahrung gesammelt. Wenn wir von Verletzungen verschont bleiben, können wir uns auch direkt qualifizieren.“
Die Erfahrungen der Montenegriner in den letzten Qualifikationen waren jedoch bitter. Nach dem Ausscheiden im Play-off zur EM 2012 startete das Team von Brnovic mit vier Siegen und zwei Remis in die WM-Qualifikation. Mit einer 0:4-Heimniederlage gegen die Ukraine folgte allerdings ein Einbruch, von dem sich der aktuell 49. der FIFA-Weltrangliste nicht mehr erholen sollte. Nach einem 1:4 gegen England am vorletzten Spieltag war die WM-Chance dahin, die Gruppenspiele endeten mit einem blamablen 2:5 gegen Moldawien in Podgorica, das auch den Nimbus der Heimstärke ins Wanken brachte.
Dennoch sagt Boskovic: „Wir haben Respekt vor jedem Gegner, aber wir brauchen uns gerade zu Hause vor niemandem verstecken. Das Stadion in Podgorica ist zwar nicht besonders groß, aber die Fans sind sehr fanatisch und hören auch nicht auf, uns anzufeuern – selbst wenn wir 0:3 zurückliegen.“ Auch für den plötzlichen Leistungsabfall nach dem starken Beginn hat er eine Erklärung: „Wir verfügen über einige Spieler von Weltklasseformat, aber der Kader ist nicht breit genug. Brnovic hat nur 15 Leute mit internationaler Erfahrung. Die Jungen aus der montenegrinischen Liga sind auch gut, werden aber in der Meisterschaft zu wenig gefordert.“
Zentrale Problemzone
Die Abwehr um Fiorentina-Legionär Stefan Savic wird seit Mai 2012 durch Vladimir Volkov verstärkt, der sich als Doppelstaatsbürger nach der serbischen für die montenegrinische Nationalmannschaft entschieden hat Der Sturm von Brnovics Team kann mit Manchester Citys Stevan Jovetic, dem nach Abu Dhabi abgewanderten Mirko Vucinic und Routinier Dejan Damjanovic an einem guten Tag jede Abwehr der Welt vor Probleme stellen.
Die Problemzone der Montenegriner ist jedoch das zentrale Mittelfeld. Spieler wie Nemanja Nikolic von Dinamo Minsk, Nikola Drincic von Partizan, Nikola Vukcevic vom SC Braga und Milos Krikotic vom FC Dacia Chisinau spielen bei wenig namhaften Klubs und haben selbst dort oft keinen Stammplatz. „Weil unsere Liga so schwach ist, gehen die Spieler schon sehr jung ins Ausland“, sagt Boskovic. „Und dort ist es schwer, sich durchzusetzen.“ Ein Generationsproblem sieht er aber noch nicht heraufziehen. „Es gibt einige Junge, die nachdrängen, wie Marko Bakic, der von Fiorentina im Sommer zu Spezia verlieren worden ist.“
Teamchef Branko Brnovic sitzt trotz des Scheiterns in der WM-Qualifikation fest im Sattel. Der 47-Jährige, der 2011 Zlatko Kranjcar beerbt hat, ist ein enger Vertrauter von Dejan Savicevic und spielte mit dem jetzigen Verbandschef in den 1980er Jahren bei Buducnost Podgorica und im jugoslawischen Nationalteam. Die Kritik der Presse an Brnovic nach den Niederlagen gegen England, die Ukraine und Moldawien ist weitgehend verstummt, und auch Boskovic sagt: „Brnovic ist ein junger Trainer, er wird aus seinen Fehlern lernen. Der Verband steht hinter ihm, aber er muss Ergebnisse liefern.“
Das gilt vor allem für das Gastspiel am 12. Oktober in Wien. Das Auswärtsmatch gegen Österreich ist nach den Auftaktspielen gegen Moldawien und Liechtenstein die erste große Bewährungsprobe für Brnovics Team. Auch wenn er zuversichtlich wirkt, hat Branko Boskovic vor den Österreichern durchaus Respekt. „Das Team hat eine gute Entwicklung hinter sich und müsste von den Namen her eigentlich schon weiter oben stehen“, sagt der Ex-Rapidler. „Wir kennen die Österreicher und werden sie ganz sicher nicht unterschätzen. Mit einem Unentschieden in Wien könnte ich sehr gut leben.“
(Reinhard Krennhuber, editiert von Martin Hanebeck)