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Taktikanalyse: Österreich baut Serie aus und gewinnt gegen Serbien

Im vorletzten Test vor der EURO 2024 bekam es die österreichische Nationalmannschaft mit Serbien zu tun. Im Vorfeld des durfte man speziell ob des Personals, das Ralf Rangnick in diesem Spiel auf den Rasen schicken würde, gespannt sein. Die Serben haben sich ebenfalls für die EURO qualifiziert und kamen mit ihren Stars nach Wien, um sich ebenso den letzten Feinschliff vor dem Auftaktspiel gegen England zu holen.

Kleine Überraschungen in der Startelf

Bei der ÖFB-Elf gab es eine kleine Überraschung in der Anfangsformation – Prass begann diese Mal als Linksverteidiger. Konrad Laimer saß zu Beginn auf der Bank, die Sechserpositionen bekleideten Florian Grillitsch und Nicolas Seiwald. Der zuletzt verletzte Philipp Lienhart nahm ebenfalls auf der Bank Platz – neben Kevin Danso begann Maximilian Wöber als Innenverteidiger. Die Personalentscheidungen wurden sicherlich auch im Hinblick auf das letzte Testspiel gegen die Schweiz am kommenden Samstag getroffen. Im Sinne der Belastungssteuerung ist hier sicherlich mit einem gewissen Maß an Rotation zu rechnen.

Österreich beginnt dominant

Die Österreicher übernahmen in der gewohnten 4-2-2-2-Formation von Beginn an das Kommando. Wie schon im Spiel gegen die Slowakei konnte man wenige Sekunden nach dem Anstoß in den gegnerischen Sechzehner eindringen. Baumgartner wurde dort von einem serbischen Verteidiger gestoppt – hier hätte es durchaus Elfmeter für Österreich geben können.

Die Serben zogen sich in weiterer Folge in ein Mittelfeldpressing zurück und überließen den Innenverteidigern Danso und Wöber den Ball im Aufbaudrittel der heimischen. Zu Beginn prägten die Österreicher das Spiel mit einem hohen Ballbesitzanteil sowie aggressiven Gegenpressing nach Ballverlust. So kamen die Gäste kaum zum Atmen und Österreich wirkte von Start weg äußerst dominant.

Serbische Mannorientierungen öffnen Räume

Das Spiel der Serben gegen den Ball wurde speziell von den äußeren Mittelfeldspielern ihrer 4-4-2-Formation extrem mannorientiert interpretiert. Die österreichischen Außenverteidiger Alexander Prass und Stefan Posch agierten als alleinige Breitengeber im Offensivspiel und schoben im Aufbau sehr hoch. Das verleitete die beiden serbischen Flügelspieler Andrija Zivkovic und Mijat Gacinovic, die Außenverteidiger teilweise bis in die eigene letzte Verteidigungslinie zu verfolgen. Aus der ursprünglichen Viererkette wurde so bei den Serben situativ eine Sechserkette. Das wiederum öffnete viel Platz in den Halbräumen. Österreich agierte im Ballbesitz mit zwei Sechsern (Grillitsch, Seiwald) und 3 Zehnern (Wimmer, Baumgartner, Schmid). Grillitsch und Seiwald positionierten sich hinter der ersten gegnerischen Pressinglinie und achteten darauf, enger beieinander zu bleiben. Dies zwang sowohl die gegnerischen Stürmer (Dusan Vlahovic und Dusan Tadic) sowie die beiden Sechser (Nemanja Maksimovic und Sergej Milinkovic-Savic) ebenfalls zu einer engeren Positionierung.

Gacinovic (21) und Zivkovic (14) ließen sich durch die hohe Positionierung der österreichischen AV Prass (8) und Posch (5) in die letzte Verteidigungslinie ziehen. Dadurch wurde aus der eigentlichen 4-4-2-Grundordnung gegen den Ball eine Art 6-2-2. So öffnen sich die Halbräume für Wimmer (23) und Schmid (18), um den Ball zu bekommen, aufzudrehen und auf die Kette dribbeln zu können.

Die Halbräume waren somit leicht zu bespielen – speziell, wenn sich einer der beiden im Halbraum positionierten Zehner den Ball etwas tiefer abholte. Denn dann war es dem unmittelbaren Gegenspieler aus der Abwehrkette nicht möglich, aggressiv rauszuschieben und das Aufdrehen des Zehners zu verhindern. So kam es auch zum 1:0 für die ÖFB-Elf nach 10 Minuten.

Die Österreicher griffen über die linke Seite an. Dies zwang die Gäste, sowohl mit den beiden Zentralen Mittelfeldspielern als auch mit den beiden Stürmern sehr weit auf die ballstarke Seite zu schieben. Der dichte Block der Serben zwang Marko Arnatovic abzudrehen und zurück Richtung erste Aufbaulinie zu spielen, in die sich Grillitsch fallen ließ. Dieser erkannte, dass die beiden zentralen Mittelfeldspieler der Serben sehr weit auf die ballstarke Seite verschoben und dass Baumgartner nun im ballfernen Halbraum völlig frei war. Darüber hinaus band Romano Schmid noch jenen Spieler an der letzten Linie, der Baumgartner in seine tiefere Position hätte begleiten und so das Aufdrehen verhindern hätte können.

Die Serben Maksimovic (5) und Milinkovic-Savic (20) müssen weit auf die linke Angriffsseite der Österreicher verschieben. Baumgartner (19) erkennt den dadurch entstandenen Raum in der ballfernen Halbspur und bekommt den Ball von Grillitsch (10). Schmid (18) bindet Pavlovic (2) an der letzten Linie, sodass Baumgartner aufdrehen und auf die Kette zulaufen kann. Wimmer (23) startet den Tiefenlauf und die Serben schaffen es trotz sechs Mann in der letzten Linie nicht, diesen zu verteidigen.

Österreichs aggressives Pressing ermöglicht das 2:0

Die Serben versuchten ihrerseits, Abstöße lang auf Zielspieler Dusan Vlahovic zu schlagen und den zweiten Ball zu gewinnen. Ziel war es, so den Ballbesitz in einer höheren Zone zu sichern und anzugreifen. Aus dem Spiel heraus bemühten sich die Gäste allerdings auch, spielerische Lösungen zu finden. Dies spielt einer Mannschaft wie Österreich, deren größten Stärken in der aggressiven Arbeit gegen den Ball liegt, natürlich entgegen. Österreich agierte gewohnten 4-2-2-2. Die Serben wiederum kamen in einem 4-2-3-1, mit flachen positionierten Außenverteidigern. Die beiden Sechser der Serben offerierten sich hinter der ersten gegnerische Pressinglinie. Die Flügelspieler agierten hoch und breit, um Räume für den als Freigeist eingesetzten Zehner Dusan Tadic zu öffnen.

Es gelange den Österreichern in der Anfangsphase immer wieder, die Serben entweder zu langen Bällen ins Niemandsland oder zu einer Spieleröffnung auf die Außenverteidiger zu zwingen. Der Ball vom Innen- auf den Außenverteidiger war der endgültige Auslöser des Pressings, da hier der für den Gegner zusätzlich limitierende Faktor der Seitenauslinie hinzukam. In dieser Zone schafften es die Österreicher oft, den Ball zu erobern bzw. den gegnerischen Angriff im Keim zu ersticken. Das 2:0 durch Christoph Baumgartner nach 12 Minuten entstand durch eine Pressingsequenz mit anschließendem Umschaltspiel.

Baumgartner (19) und Arnautovic (7) pressen die beiden Innenverteidiger. Dahinter dienen die Sechser Grillitsch (10) und Seiwald (6) als Backup. Sie nehmen eine ‚schwimmende‘ Rolle ein, indem sie einerseits mithilfe des Deckungsschattens den Passweg auf die Stürmer Vlahovic (7) und Tadic (10) zustellen, andererseits aber auch aggressiv auf die beiden Sechser Maksimovic (5) und Milinkovic-Savic (20) schieben. Baumgartner gelingt es in dieser Situation nicht, Druck auf den ballführenden IV Veljkovic auszuüben. Der vertikale Passweg auf Vlahovic (7) ist nun frei. Danso (4) kann aber durch aggressives Attackieren nicht nur das Aufdrehen verhindern, sondern auch den Ball erobern. Seiwald sammelt den freien Ball auf und leitet auf Grillitsch weiter, der mit dem ersten Kontakt den Steckpass auf Baumgartner spielt. Dieser kann schlussendlich zum 2:0 einschießen

Umstellungen lassen Serben das Kommando übernehmen

Der serbische Coach Dragan Stojkovic nahm sofort nach dem zweiten Gegentreffer Umstellungen vor. Er schob einen der Innenverteidiger, Nemanja Gudelj, auf die Sechserposition, um einen dritten Spieler im zentralen Mittelfeld zu haben. Die beiden ursprünglichen Außenverteidiger Strahinja Pavlovic und Uros Spajic rückten nun in die Halbräume und bildeten mit Milos Veljkovic eine Dreierkette. Die beiden Flügelspieler Mijat Gacinovic und Andirja Zivkovic wurden nun als Schienenspieler eingesetzt. So ergab sich eine 3-5-2-Formation in Ballbesitz bzw. ein 5-3-2 gegen den Ball. Hintergedanke war hier sicherlich, einerseits Gleichzahl im Zentrum herzustellen. Andererseits konnte man so die von Österreich frequentiert bespielten Halbräume besser verteidigen. Einhergehend mit dieser Systemumstellung gingen die Serben auch in ein höheres Pressing über, welches die Österreicher dazu verleitete, mehr lange Bälle zu spielen, die allerdings selten Ertrag brachten. So verloren die Mannen von Ralf Rangnick etwas die Spielkontrolle und Serbien erholte sich von der schwierigen Anfangsphase. In einem schleichenden Prozess konnten die Gäste das Spiel immer mehr an sich reißen.

Maksimovic (5) und Milinkovic-Savic (20) konnten durch das Positionieren eines zusätzlichen Sechsers aggressiver auf die österreichischen Sechser Grillitsch (10) und Seiwald (6) schieben. Gudelj (6) spielte stark mannorientiert gegen Baumgartner (19). Die beiden Schienenspieler Zivkovic (14) und Gacinovic (21) kümmerten sich um die Außenverteidiger. An der letzten Linie spielten Spajic (24), Veljkovic (13) und Pavlovic (2) nun Mann gegen Mann. Unterschied zur vorhergehenden Formation war es, dass die Halbraumverteidiger ihre Gegenspieler Wimmer (23) und Schmid (18) nun ohne Bedenken begleiten konnten, sobald sie sich etwas tiefer fallen ließen.

Die Österreicher passten ihr Pressingschema an die neue Formation an. Die Grundordnung gegen den Ball wirkte nun eher wie ein 4-2-4. Wimmer und Schmid agierten nun gemeinsam mit Baumgartner und Arnautovic in der ersten Pressinglinie.

Das Pressing der ÖFB-Elf im 4-2-4. Arnautovic (7) und Baumgartner (19) stellten zuerst die beiden Sechser in den Deckungsschatten. Das Zuspiel vom Halb- auf den zentralen Innenverteidiger war der Trigger für den ballnahen Stürmer, den Passempfänger unter Druck zu setzen. Dabei nahm er ‚seinen‘ gegnerischen Sechser in den Deckungsschatten, damit dieser nicht anspielbar war. Der zweite Stürmer stellte weiterhin den ballfernen Sechser der Serben zu. Die Verlagerung auf den anderen Halbraumverteidiger wurde dann von Wimmer (23) gepresst. Die Serben agierten in der neuen Formation bis zur Pause mit zwei Zehnern – Tadic (10) und Milinkovic-Savic (20) – die sich nun hinter den österreichischen Sechsern Grillitsch (10) und Seiwald (6) positionierten und Zuteilungsprobleme bei den Österreichern verursachten. Speziell Tadic ließ sich immer wieder weit auf den Flügel fallen, um dort eine Überzahl herzustellen.

Die Systemumstellung sowie das höhere Pressing verschafften Serbien zunächst Luft und ließ die Gäste mit Fortdauer der Partie schleichend immer mehr Kontrolle gewinnen. Durch den besseren Zugriff auf den Gegner konnten sie ihre körperbetonte Spielweise zur Geltung bringen und den Spielfluss der Österreicher massiv stören. Kurz vor der Pause konnten die Gäste nach einer Anschlussaktion nach einer Ecke durch Salzburg-Legionär Strahinja Pavlvovic auf 1:2 verkürzen. Mit diesem Zwischenstand ging es auch in die Halbzeitpause.

Eine zerfahrene zweite Hälfte

Zum zweiten Durchgang wechselten beide Trainer. Aleksandar Mitrovic kam für Dusan Tadic ins Spiel und bildete nun mit Dusan Vlahovic eine klassische Doppelspitze. Sergej Milinkovic-Savic war nun der alleinigen Zehner. Aufseiten der Heimischen kam Gregoritsch für den mit Gelb vorbelasteten Marko Arnautovic, was an der grundlegenden Grundordnung bzw. der Herangehensweise nichts ändern sollte.

Aus taktischer Sicht änderte sich nach Seitenwechsel nicht viel. Die Serben agierten gegen den Ball weiterhin im 5-3-2 und pressten die Österreicher hoch an. Die Heimischen sahen sich erneut des Öfteren dazu gezwungen, den langen Ball zu spielen. Das Schema des Spiels auf den zweiten Ball wirkte nun allerdings ein wenig zielgerichteter.

Die Sechser Laimer (20) und Seiwald (6) lassen sich etwas tiefer fallen, um die unmittelbaren Gegenspieler Milinkovic-Savic (20) und Ilic (17) aus der Position zu locken. Dahinter lässt sich Baumgartner vom Zentrum in einen der Halbräume fallen und kommt ebenso etwas tiefer, um seinen direkten Gegenspieler Gudelj (6) aus dem Sechserraum zu locken. So entsteht ein Raum vor der Abwehr, sodass Pentz (13) den langen Chipball auf Zielspieler Gregoritsch (11) spielen kann. Dieser hat nun zwei Möglichkeiten: Entweder er kann den Ball sichern und auf die nachrückenden Spieler ablegen oder er verlängert den Ball Richtung Tor auf die in die Tiefe startenden Wimmer (23) und Schmid (18).

Nach diesem Schema entstand auch die beste Chance der Österreicher in der zweiten Halbzeit. Der zweite Ball landete bei Prass, der den Ball kontrollieren konnte und etwas Raum für ein Dribbling vorfand. Danach spielte er einen hervorragenden Ball in den Zwischenlinienraum, der mit Gregoritsch und den eingewechselten Grüll und Weimann überladen wurde. Plötzlich fanden sich die Österreicher in einer 3 gegen 2-Situation wieder, die auch stark ausgespielt werden konnte. Weimann tauchte allein vor Keeper Vanja Milinkovic-Savic auf, traf aber die falsche Entscheidung und blieb am Schlussmann der Serben hängen.

Serbien behält durch kampfbetonte Spielweise die Kontrolle

Österreich fiel es wie schon am Ende der ersten Halbzeit schwer, in ihr gewohntes Spiel zu finden. Das Pressing wirkte phasenweise in den ersten beiden Linien nicht mehr so griffig wie noch zu Beginn der Partie. Das bereits erwähnte höhere Pressing der Serben hingegen ließ auch nicht mehr so viele längere Ballbesitzphasen zu wie noch am Anfang des Spiels. Das spiegeln auch die PPDA-Werte (Passes per Defensive Action) wieder.

Die ‚Passes per Defensive Action‘-Werte zeigen, dass das Pressing der Österreicher in der ersten Halbzeit besser war als in der zweiten. Die Serben hingegen konnten ihren Wert im zweiten Abschnitt verbessern (Quelle: Wyscout S.p.a.).

Die Serben waren optisch überlegen, ohne jedoch wirklich eine Großchance herauszuspielen. Das lag daran, dass die ÖFB-Elf in der letzten Linie stark verteidigte und so in der zweiten Halbzeit nichts Erwähnenswertes zuließ. Durch das körperbetonte Spiel der Serben kam es zu vielen Unterbrechungen und Standardsituationen. Darüber hinaus tauschten beide Trainer kräftig durch. So ging der Spielfluss generell etwas verloren. Am Ende drückten die Serben nochmals auf den Ausgleichstreffer und waren diesem sicherlich näher als Österreich dem 3:1. Allerdings blieb die Rangnick-Elf standhaft und verteidigte sämtliche Angriffsversuche der Gäste konsequent weg.

Fazit

Positiv hervorzustreichen sind sich mit Sicherheit die ersten 20-30 Minuten, in denen der österreichischen Mannschaft sowohl mit als auch gegen den Ball viel aufging. Die Serben reagierten auf die Dominanz der Heimelf und adaptierten die eigene Grundordnung. So konnten sie zunächst in die Partie zurückfinden, um in weiterer Folge die Kontrolle zu übernehmen. Speziell in der zweiten Halbzeit war Serbien optisch überlegen. Richtig gefährlich werden konnte aber keine der beiden Mannschaften mehr. Das belegen laut Wyscout auch die xG-Werte in der zweiten Halbzeit (Österreich: 0,01; Serbien 0,10). Insgesamt hatte Serbien in xG mit 1,20:0,44 die Nase vorne. Dies liegt wohl aber hauptsächlich am Treffer von Strahinja Pavlovic – diese Gelegenheit allein wies einen xg-Wert von 0,75 auf.

Die ÖFB-Elf glänzte zwar nicht, konnte aber den sechsten Sieg in Serie einfahren. Am Ende verteidigte man die Angriffsbemühungen der Serben konsequent weg und ließ sich von der Überlegenheit des Gegners nicht beeindrucken. Auch das ist eine sehr wichtige und positive Erkenntnis aus diesem Spiel. Denn bei der EURO wartet vor allem mit Frankreich ein Gegner, der in gewissen Phasen dominant auftreten wird. Mit dem Bewusstsein, auch diese Phasen mit konsequenter Defensivarbeit überstehen zu können, kann man mit einer breiten Brust in das Auftaktspiel gegen Mbappé & Co. gehen.

M T, 12termann.at