UEFA EURO 2024

Teamanalyse: Frankreich bei der UEFA EURO 2024

Gruppe D ist eine wahre Hammergruppe. Ihre Teilnehmer haben im Schnitt das höchste Ranking in der FIFA-Weltrangliste aller bei der Europameisterschaft vertretenen Länder. Frankreich gehört zum elitären Kreis der zehn Länder, die bereits den Henri-Delaunay-Pokal in die Höhe stemmen durften, und neben Rekordgewinner Deutschland sowie Spanien und Italien eines der vier Länder, denen das zweimal oder öfter gelang. Die Mannschaft von Didier Deschamps, der als Spieler selbst die EM und WM holte, ist klarer Titelfavorit und zeigte im WM-Finale 2022 in Katar, dass man sie niemals abschreiben sollte. Weltmeister als Trainer wurde er bereits, nur die Europameisterschaft fehlt im jetzt.

Die Niederlande sind ein weiteres Land, das bereits die EM gewann und als ein historischer Gigant in Europa gilt. Im Jahr 1988 besiegte Oranje die Sowjetunion, der damalige Austragungsort Bundesrepublik Deutschland deckt sich mit dem diesjährigen, wobei der jetzige Bondscoach Ronald Koeman als Verteidiger des damaligen Teams beste Erinnerungen hat. Nun kehrt er als Trainer in seiner zweiten Amtszeit bei der Oranje zurück, nachdem er die Auswahl von Trainerlegende Louis van Gaal zum Jahr 2023 übernahm.

Zum dritten Mal in Folge nimmt Österreich nun an einer Europameisterschaft teil. Im Jahr 2016 war die Enttäuschung groß, als die Mannschaft des damaligen Teamchefs Marcel Koller als Gruppenletzter sang und klanglos ausschied. Franco Foda erreichte 2021 immerhin das Achtelfinale, in welchem man gegen den späteren Europameister Italien einen wahren Kampf ablieferte und die Partie erst in der Verlängerung verlor. Auf Foda folgte Fußball-Fachmann Ralf Rangnick. Seine Expertise verlieh Österreich neue Flügel. Nachdem Fodas Spielstil als zu defensiv angesehen wurde, implementierte Rangnick ein System, welches besser auf die individuellen Stärken der Spieler zu geschnitten ist und wieder mehr Erfolg brachte. So schlug Österreich unter anderem Italien und Deutschland und verlor nur eines der letzten 16 Spiele. Der Status als „Dark Horse“ für die EM beim Nachbarn ist verdient.

Die vierte Auswahl im Bunde ist Polen, das mit Platz 28 das niedrigste FIFA-Ranking von Gruppe D inne hat. Zudem ist man die einzige Mannschaft, die sich nicht über die reguläre Gruppenphase qualifizierte, sondern durch die Playoffs musste. Im Elfmeterschießen entschieden Lewandowski und Co. die Partie gegen Wales. Seit September 2023 ist Michal Probierz Trainer der Orly (die Adler). Die Hoffnungen der Polen liegen erneut auf Stürmerstar Robert Lewandowski.

Frankreich als einer der großen Titelfavoriten

Einer der Titelfavoriten ist Frankreich. Die Mannschaft von Didier Deschamps brillierte bei den letzten beiden Weltmeisterschaften mit der Silbermedaille in Katar und dem zweiten Stern für das blaue Trikot in Russland. Der einzige Titel, der ihm als Chefcoach der „Équipe Tricolor“ noch fehlt, ist die Europameisterschaft. 2016 war man im eigenen Land ganz nah dran, Portugals Éder zerstörte aber die französischen Träume, beim letzten Kontinentalbewerb schieden Weltstar Kylian Mbappé und Co. bereits im Achtelfinale gegen den Underdog Schweiz aus.

Nichtsdestotrotz ist Frankreich eine der besten Mannschaften der Welt, im FIFA-Ranking ist lediglich Weltmeister Argentinien vor Les Bleus. Die große Stärke der Franzosen ist die Kadertiefe. Auf allen Positionen gibt es Weltklassespieler en masse, qualitativ wird die Mannschaft also durch Auswechslungen kaum schwächer. So schoss man Gibraltar im November mit 14:0 ab, was der höchste Sieg in ihrer Geschichte und der EM-Qualifikation war. Bei der EM muss Deschamps‘ Truppe nun beweisen, dass sie als wahre Einheit agieren kann, wobei der Fokus auf Kylian Mbappé liegt.

Torhüter

Die Torhüterposition ist vermutlich der schwächste Mannschaftsteil bei den Franzosen. Die Ära des langjährigen Stammtorhüters und Kapitäns Hugo Lloris endete nach dem WM-Finale 2022 nach 145 Spielen, womit er französischer Rekordnationalspieler ist. Für die Nachfolge setzt Deschamps auf ein Trio, das er seit 2023 immer fix nominiert hat.

Mike Maignan (AC Milan) hat sich in diesem Dreiergespann als Nummer eins herauskristallisiert. Er gewann bisher zwei Meisterschaften, 2021 mit Lille und 2023 mit Milan, wo er unumstrittener Stammtorhüter ist und in der abgelaufenen Saison Vizemeister wurde. Deschamps setzte in elf von 14 Spielen seit März 2023 auf den 28-Jährigen und wird ihm auch in Deutschland das Vertrauen schenken.

Der zweite Keeper ist Alphonse Areola. Bereits seit 2016 wird er für Frankreich nominiert. An Hugo Lloris gab es kein Vorbeikommen, Areola hat also nur fünf Länderspiele seitdem gemacht. Nichtsdestotrotz kann der West-Ham-Torwart sich Weltmeister von 2018 nennen, nachdem er auch da schon im Kader war. 2022 war er ebenfalls dabei. Somit bringt er die Erfahrung von großen Turnieren mit.

Das Trio komplettiert Brice Samba. In den drei Begegnungen, in denen Maignan auf der Bank saß, wurde der 30-Jährige in seinen bisher drei einzigen Länderspielen eingesetzt. Beim RC Lens sammelte er in den letzten beiden Spielzeiten 18 Weiße Westen, keinem Torhüter in der Ligue 1 gelangen mehr. 2023 wurde Samba mit Lens sogar überraschend Vizemeister, in der abgelaufenen Saison ist man als Siebter immerhin für die Conference League qualifiziert. Die Nummer zwei für Les Bleus ist also verdient.

Verteidigung

Deschamps spielt mit Viererkette. In der Innenverteidigung rotierte er dabei immer wieder durch und fand noch nicht das passende Duo. Von der Weltmeistermannschaft blieb Benjamin Pavard übrig, der seit 2023 jedoch nur auf sieben Einsätze kam und für Frankreich öfter als rechts hinten als im Abwehrzentrum spielte. Mit Dayot Upamecano und Ibrahima Konate findet sich ein eingespieltes Paar. Beim FC Bayern bzw. FC Liverpool spielten sie den Großteil der Partien und standen zu ihrer Zeit bei RB Leipzig selbst in 59 Partien gemeinsam auf dem Platz. Nichtsdestotrotz bekam William Saliba, seines Zeichens englischer Vizemeister mit dem FC Arsenal, zuletzt auch wieder Minuten und darf sich Hoffnungen auf Einsatzzeit bei der EM machen. Jules Koundé ist flexibel einsetzbar, ist als gelernter Innenverteidiger, aber wie Pavard rechts hinten ebenfalls einsatzbereit.

Links hinten ist ebenfalls Weltklasse dabei. Didier Deschamps vertraut auf die Dienste von Theo Hernandez, der beim AC Milan ebenfalls gesetzt ist und somit mit Keeper Maignan vertraut ist. Neben den Defensivaufgaben ist er aber auch für seinen Zug nach vorne bekannt. So wurde ein für den Titel essenzielles Tor in der Meistersaison 2021/22, welches er nach einem überragenden Solo-Lauf vom eigenen Strafraum bis zum gegnerischen erzielte, für den Puskas-Award 2022 nominiert. Mit Ferland Mendy als Real Madrids-Stammlinksverteidiger ist ein abgebrühter Routinier ebenfalls dabei, der unter Carlo Ancelotti bei den Königlichen immer besser wurde.

Rechts hinten wird voraussichtlich Jules Koundé starten, doch mit Jonathan Clauss ist einer der besten Rechtsverteidiger der Ligue 1 am Start. Deutschen Fans ist er noch aus seiner Zeit bei Arminia Bielefeld bekannt. Wie Theo Hernández ist auch er kein reiner Defensivspieler und kann auf der rechten Seite jede Position spielen.

Mittelfeld

Die französische Zentrale ist ebenfalls bestens besetzt. Zwei Weltklassespieler finden sich im Namen von Aurelien Tchouameni und Eduardo Camavinga wieder. Mit Mendy gewann das Duo die Champions League 2024 bei Real Madrid und ist mit 24 bzw. 21 Jahren ein vielversprechendes Mittelfeld für die Zukunft der Königlichen, womit die alte Garde namens Toni Kroos und Luka Modric abgelöst wird. In Deschamps‘ 4-2-3-1-Formation sind sie im defensiven Mittelfeld eingeplant, beide können aber auch in der Abwehrkette aushelfen, Camavinga als Linksverteidiger, Tchouameni im Zentrum. Nach zwei Jahren wieder nominiert ist Laufwunder N’Golo Kanté, der 2018 Weltmeister wurde und mit 33 Jahren mittlerweile in Saudi-Arabien spielt.

Der jüngste im Kader ist PSG-Wunderkind Warren Zaire-Emery, der seit zwei Jahren einen rasanten Aufstieg beim französischen Meister erlebt. Bereits mit 16 Jahren debütierte er für die Hauptstädter. Mit Adrien Rabiot und Youssuf Fofana sind auch zwei gestandene Profis dabei, die wichtige Erfahrung mit in das junge Mittelfeld bringen.

Angriff

Der größte Star ist zweifelsohne Kylian Mbappé. Als Rekordtorschütze verlässt er Paris Saint-Germain und wechselt nach einer langjährigen Transfersaga endlich zu Real Madrid. Der Kapitän ist einer der besten Spieler der Welt und das Spiel ist auch bei der Nationalmannschaft auf ihn zugeschnitten. Er liegt bereits auf Platz drei der Rekordtorschützen Frankreichs. Überholt hat er dabei seinen Mannschaftskollegen Antoine Griezmann – der voraussichtliche Zehner ist Atletico Madrids Star und hat sich in den letzten Jahren auch als Mittelfeldspieler etabliert. Diese Flexibilität ist eine wichtige Facette, will man im Spiel umstellen.

Für Rekordgoalgetter Olivier Giroud wird die EM 2024 seine Abschiedstournee im blauen Trikot. Sein Karriereende in der Équipe Tricolor verkündete der 37-Jährige bereits, ausklingen lässt er mittlerweile beim Los Angeles FC in der MLS. Zwei weitere Topspieler sind mit Marcus Thuram als italienischen Meister und Randal Kolo Muani als Ligue 1-Champion dabei.

Über die Flügel kommen die etablierten Kingsley Coman und Ousmane Dembele, die gemeinsam 100 Nationalspiele absolviert haben. Bradley Barcola, ein weiterer PSG-Senkrechtstarter, hat dagegen erst 37 Minuten für Frankreich hinter sich, dürfte als junger Wilder also frei aufspielen.

Trainer

Didier Deschamps übernahm Frankreich im Jahre 2012 und konnte das vorherrschende Chaos in eine der besten Mannschaften der Welt umwandeln. Der Weltmeistertitel 2018 verewigte ihn in der Fußballgeschichte, Präsident Emmanuel Macron verlieh ihm sowie dem Kader daraufhin einen Ehrenorden.

Für seine Spieler will Deschamps im professionellen Verhalten ein Vorbild sein, als Trainer versteht er sich gut mit seinen Spielern und lässt sie auf dem Platz gewähren. Sein Spielstil wird als pragmatisch angesehen, wodurch die Durchschlagskraft zu einem gewissen Grad verloren gehen könnte.

Gesamtbewertung

Frankreich ist einer der absoluten Topfavoriten auf den Titel. Die individuelle Klasse quer durch die Mannschaft kann kaum eine andere Nation aufbieten. Alles andere als Platz eins in der Gruppenphase wäre eine Überraschung, wobei mindestens das Halbfinale drin sein sollte. Den Henri-Delaunay-Pokal als Trainer zu holen, ist die letzte Lücke für Deschamps, viele junge und hungrige Spieler sind dabei, die ihm nun auch das ermöglichen können.

Frankreich in Gruppe D

Montag, 17.6., 21 Uhr | Österreich – Frankreich (Düsseldorf)
Freitag, 21.6., 21 Uhr | Niederlande – Frankreich (Leipzig)
Dienstag, 25.6., 18 Uhr | Frankreich – Polen (Dortmund)