Teamanalyse: Ungarn bei der UEFA EURO 2024
Seit einer gefühlten Ewigkeit ungeschlagen sind die Ungarn, die als kleiner Geheimfavorit in Gruppe A gehen und jedem Gegner – auch Top-Favorit Deutschland – eine richtig schwere Zeit bereiten könnten. Die ungarische Mannschaft ist ausgesprochen gefestigt, hat seine wichtigsten Leistungsträger an Bord und es gibt wohl kaum eine Mannschaft in diesem Turnier, das das Momentum so sehr auf seiner Seite hat, wie unsere östlichen Nachbarn.
Seit der Anstellung des Italieners Marco Rossi im Jahre 2018 mausert sich Ungarn wieder zu einer vielversprechenden Macht im europäischen Fußball und nimmt 2024 an der dritten Europameisterschaft in Folge teil, für die man sich ohne Niederlage qualifizierte.
Die letzte Niederlage datiert aus dem September 2022, wodurch die Mannschaft rund um Liverpool-Star Dominik Szoboszlai als Geheimfavorit für das Turnier gehandelt wird und definitiv für Überraschungen sorgen kann.
Torhüter
Marco Rossi hat sich im ungarischen Tor für ein Dreiergespann entschieden. Dieses wird von Dénes Dibusz angeführt, der als Kapitän mit Ferencvaros Budapest Meister in der abgelaufenen Saison wurde und sich auch für Ungarns Nationalelf zum Stammkeeper entwickelte.
Hinter ihm steht mit Peter Gulacsi, ein Torhüter mit internationaler Top-Erfahrung, der mit 34 Jahren mittlerweile auf Klub- und Landesebene etwas kürzertreten muss. Das Trio komplettiert Peter Szappanos, der beim Tabellenzweiten der ungarischen Liga Paksi FC Stammtorwart ist.
Somit ist mit Gulacsi sowohl ein internationaler Top-Torwart dabei, als auch mit dem heimischen Paar das beste, was der nationale Fußball Ungarns auf jener Position zu bieten hat. Auf internationaler Ebene ist allerdings gerade Dibusz noch weitgehend unbewährt.
Verteidigung
Mit acht Verteidigern fahren die Magyaren nach Deutschland, wobei beide Akteure aus der heimischen Liga die Rechtsverteidiger sind: Zum einen ist Endre Botka, der ebenfalls mit Ferencvaros Meister wurde, vertreten, zum anderen der routinierte Fehervar-Kapitän Attila Fiola.
Von den Legionären kommen mit Márton Dardai (Hertha BSC), Willi Orbán (RB Leipzig) und Attila Szalai (SC Freiburg), einst im Nachwuchs beim SK Rapid tätig, gleich drei Kicker von deutschen Klubs mit.
Die anderen drei – Loic Nego, Adam Lang und Botond Balogh – spielen in Frankreich, Zypern beziehungsweise Italien. Die Mischung aus Routine und Jugend ist hier also durchaus interessant und die Abwehr der Ungarn ist auch gut eingespielt, wenngleich es in der EM-Qualifikation immer wieder kleinere Rückschläge und Patzer gab – etwa je zwei Gegentreffer gegen Litauen und Bulgarien.
Mittelfeld
Der Dreh- und Angelpunkt in der ungarischen Zentrale ist Liverpool-Star Dominik Szoboszlai, der mit 23 Jahren bereits zum Kapitän auserkoren wurde. Im Mittelfeld tummeln sich jedoch vermehrt junge Spieler und lediglich drei Spieler sind 28 Jahre oder älter. Zudem sind Legionäre mehrerer Ligen dabei, von denen Union Berlins Andras Schäfer der bekannteste im deutschsprachigen Raum sein dürfte.
Auch Laszlo Kleinheiszler dürfte den Werder-Bremen- und Darmstadt-Fans ein Begriff sein, in England hingegen kennt man eher Callum Styles, der durch seine Großeltern für Ungarn spielberechtigt ist. Die Polyvalenz mehrerer Spieler kommt Rossi taktisch sicherlich zugute, Ausfälle können leichter kompensiert und das Spielsystem variabler gestaltet werden. Das ist auch einer der Gründe dafür, wieso Ungarns Mittelfeld zahlenmäßig relativ dünn besetzt ist.
Angriff
Nominell stehen nur vier Angreifer im Kader der Ungarn: Der wohl treffsicherste Akteur ist Roland Sallai, als Freiburg-Mittelstürmer ein weiterer Deutschland-Legionär. Der Exot des Teams ist Martin Adam, der bei Ulsan Hyundai in Südkorea unter Vertrag steht und sich in etwa der Hälfte aller Spiele auf dem Spielberichtsbogen als Scorer eintragen kann.
Über die Flügel sorgt der 23-jährige Kevin Csoboth von Ujpest Budapest für Gefahr, während man mit Barnabas Varga den Torschützenkönig der nationalen Liga dabei hat. Dieser spielte in jungen Jahren für den SV Mattersburg, konnte sich aber speziell in seinen „reiferen“ Fußballerjahren in seiner Heimat einen Namen machen und ist nun Torjäger vom Dienst bei Meister Ferencvaros. Varga könnte eine der großen Überraschungen des Turniers sein und hat dank seiner Treffsicherheit beste Chancen auf Einsätze – auch wenn er international noch keinerlei Erfahrung hat.
Trainer
Der Italiener Marco Rossi übernahm Ungarn im Jahre 2018 und etablierte dabei einen Spielstil, der den ungarischen Fans wieder Vertrauen und Zuversicht zurückbrachte. In der FIFA-Weltrangliste stieg man stetig auf und sorgte auch in der UEFA Nations League für Furore, beispielsweise mit dem 4:0 gegen England im Juni 2022.
Mit seinem Spielstil, der in der Fußballfachsprache im „Relationism“, einer Denkrichtung, die sich vom Positionsspiel entfernt, zu verorten ist, hat Rossi den einen oder anderen taktischen Kniff in der Trickkiste, der entscheidend sein könnte.
Gesamtbewertung
Die ungarischen Hoffnungen ruhen in diesem Sommer ganz auf den Schultern des Kapitäns Dominik Szoboszlai. Die letzte EM verpasste er verletzungsbedingt, reifer und stärker geht er nun in sein erstes Großturnier. Auch wenn der Kader nominell unscheinbar aussehen mag, gibt die Entwicklung dem traditionsreichen Fußballland allen Grund, von einem weiten Fortschreiten im Turnier zu träumen.
Auch der EM 2024 Spielplan könnte zu einem Vorteil für die Ungarn werden. Schließlich geht es im ersten Spiel gegen die Schweiz und im letzten Match gegen die Außenseiter aus Schottland. Deutschland weder am ersten, noch am letzten Spieltag zu erwischen, sollte in einer ansonsten recht engen Gruppe ein feines Goodie sein…
Ungarn in Gruppe A
Samstag, 15.6., 15:00 Uhr | Ungarn – Schweiz (Köln)
Mittwoch, 19.6., 18:00 Uhr | Deutschland – Ungarn (Stuttgart)
Sonntag, 23.6., 21:00 Uhr | Schottland – Ungarn (Stuttgart)