Nationalteam

Taktikanalyse: Österreich nach Gala bereits in EM-Form

Nach dem 2:0-Auswärtssieg gegen die Slowakei wartete das Heimspiel gegen die Türkei auf die österreichische Nationalmannschaft, das mit einem 6:1-Sieg für die Mannschaft von Ralf Rangnick überraschend deutlich ausfiel. Wir wollen uns nun ansehen, wie dieser hohe Sieg genau zustande kam.

Blitzstart wird zum Regelfall

Wenige Tage nach dem ungefährdeten aber nicht unproblematischen 2:0-Erfolg in der Slowakei, ging es für die österreichische Nationalmannschaft im heimischen Happel-Stadion gegen die Türkei. Damit kam es auch zu einem richtigen Härtetest, befinden sich die Türken doch seit der Amtsübernahme von Trainer Montella im Aufwind und haben einige starke Akteure in ihren Reihen. Teamchef Ralf Rangnick nahm dieses Spiel daher auch dementsprechend ernst und es wurde erneut wenig experimentiert. Im Vergleich zum Spiel am Samstag gab es nur zwei Veränderungen, Wöber und Schmid rückten nach ihren guten Auftritten in die Startelf und bekamen ihre Chance von Anfang an. Das Spielsystem bleib daher ebenfalls beim üblichen 4-2-3-1/4-4-2 und man versuchte die gewohnten Tugenden, die die Österreicher auszeichnen, auf den Platz zu bringen.

Mit der Türkei bekam man es mit einem Gegner zu tun, der eine ähnliche Systematik wählt, aber den Fokus eher auf ein kompaktes Verteidigen im 4-4-2 legt und auf saubere Ballbesitzphasen unter Einbindung des Kapitäns und Regisseurs Calhanoglus setzt. Das versuchten die Gastgeber natürlich zu unterbinden und wollten den Gästen von Anfang an zeigen, wie intensiv das eigene Pressing sein kann. Dafür liefen die Österreicher recht früh den Spielaufbau der Türken an und das wie gewohnt im 4-4-2, bei dem sich die erste Pressinglinie bestehend aus Gregoritsch und Baumgartner an den beiden Innenverteidigern orientierte, während das Mittelfeld nachschob und quasi für die Außenverteidiger und die beiden Sechser zuständig war.

Gegen die Slowaken hatte man dahingehend noch Probleme, schob das Mittelfeld nicht immer konsequent nach und wurde die erste Pressinglinie zu oft in Stich gelassen und so das Pressing ausgehebelt. An der Feinabstimmung hat man sichtbar gearbeitet und das machte sich auch prompt bezahlt. Die Türkei versuchte wie gewohnt ihren kontinuierlichen Spielaufbau über die „Sechser“ und rechnete scheinbar nicht damit, dass diese angepresst werden. Dortmund-Spieler Özcan wurde hier auf dem falschen Fuß erwischt, da überraschenderweise der linke Flügelstürmer Romano Schmid weit einrückte und de facto die Aufgabe von den zentralen Mittelfeldspielern übernahm und seinen Gegner anpresste. Das führt zum Ballgewinn und im Nachsetzen erzielte der nachgerückte Xaver Schlager das 1:0 für die Österreicher – nach keinen zwei Spielminuten!

Offener Schlagabtausch mit hohem Zentrumsfokus

Nach der Führung versuchten die Gastgeber das Spiel unter Kontrolle zu bringen und mit sauberen Ballbesitzphasen die Türkei auszuhebeln. Die Gäste verteidigten in einem klaren 4-4-2 mit sehr engen Abständen und dem augenscheinlichen Fokus darauf, durch das Zentrum nichts durchzulassen – was ja die bevorzugte Spielwiese der Österreicher ist. Die beiden Stürmer der Türken liefen so an, dass sie sich zuerst an den gegnerischen „Sechsern“ orientierten und diese zustellten, während sie gleichzeitig die Distanz zu den Innenverteidigern kurzhielten, um ihnen quasi im Weg zu stehen und damit diese auch nach außen spielen mussten. Dahinter schob Calhanoglu aus dem Mittelfeld nach und stellte den ballnahen „Sechser“ zusätzlich zu. Die Gastgeber erwarteten dies allerdings und knüpften da an, wo man im Spielaufbau bereits im Laufe der Partie gegen die Slowakei aufhörte.

Aus dem Sechserraum kippte einer der beiden Mittelfeldspieler immer wieder neben die Innenverteidiger zurück und ließ so eine Dreierkette in der Eröffnung entstehen. Meist war es Seiwald, der nach rechts auswich und so die Aufbaulinie gegen die zwei Stürmer unterstützte und eine Überzahl kreierte. Damit deckten die beiden gegnerischen Stürmer Yildiz und Arda Güler einen Raum, der nur noch mit einem einzigen Sechser besetzt war. Österreich versuchte stattdessen quasi seitlich an den beiden Stürmern vorbei das Spiel aufzubauen und hatten so immer wieder im Übergangsspiel einen guten Weg nach vorne. Die Türken stellten sich nicht rechtzeitig darauf ein oder wollten dennoch die zentralen Räume verteidigen, um diese den Österreichern nicht anzubieten. Diese Praxis kann man anhand des folgenden Bildes gut erkennen:

Österreich im Spielaufbau, die Türkei formiert sich zu einem engmaschigen 4-4-2, bei dem die beiden Stürmer den Sechserraum zustellen und Calhanoglu ebenfalls am Sprung nach vorne ist, um die Stürmer gegen die beiden Sechser notfalls zu unterstützen. Seiwald lässt sich jedoch in die Abwehrkette zurückfallen, während gleichzeitig Außenverteidiger Posch weit nach vorne schiebt und seinen Gegenspieler mitzieht, wodurch Seiwald nun viel Raum vor sich hat, um den Ball in die gegnerische Hälfte zu führen.

Damit lagen die Türken nicht ganz falsch, denn Österreich versuchte dann über die seitlichen Zonen, wieder zurück ins Zentrum und den Zwischenlinienraum zu spielen, um dann mit wenigen Kontakten im hohen Tempo nach vorne zu kommen. Durch das enge Zentrum entstand hier aber eine hohe Intensität und viele Ballwechsel, wodurch ein zügiges Tempo in dem Spiel war. Die Türken machten das auch insgesamt recht ordentlich und zeigten sich gut organsiert mit zwei engstehenden Ketten, die wenig Spielraum offenbarten. Auch im Ballbesitz gelang es den Gästen, immer öfter sich aus dem Pressing der Österreicher zu befreien und vielversprechende Angriffsbemühungen zu starten. Speziell sofern man sich aus dem Gegenpressing über den pressigresistenten „Sechser“ Cahanoglu befreite, gelang es immer wieder mit Spielverlagerungen die freien Räume anzuvisieren und Tempoangriffe in Richtung letztes Drittel zu fahren. Vor allem das Trio um Güler, Yildiz und Akturkoglu wusste hier mit kleinräumigen Kombinationen zu gefallen und Dynamik zu entwickeln, die Österreich Probleme bereitete und für einen offenen Schlagabtausch sorgten. Exemplarisch dafür die nachfolgende Szene, die das geschehen gut beschreibt:

Balleroberung der Türkei, die Österreicher gehen ins Gegenpressing und drängen die Türkei eigentlich Richtung Outlinie. Offensivspieler Akturkoglu behält jedoch unter Druck die Übersicht und findet Spielmacher Calhanoglu per Diagonalpass im Zentrum, wodurch das gesamte Gegenpressing der Gastgeber ausgehebelt wird…

…und die Türkei einen Tempoangriff in Richtung gegnerisches Tor führen kann, da Calhanoglu direkt weiter das Spiel auf die ballferne Seite zu Arda Güler verlagert, der sofort Dynamik aufnimmt in den freien Raum (gelbe Linie). Gleichzeitig sieht man, dass das Mittelfeld der Österreicher de facto ausgespielt wurde (roter Strich) und nun einen weiten Weg nach hinten gehen muss, um den Gegner zu stoppen.

Die Türkei belohnte sich dann auch für ihren verbesserten Auftritt und kam nach einer Standardsituation zu einem Elfmeter, da Innenverteidiger Danso unglücklich mit dem Arm am Ball war. Kapitän Calhanoglu behielt die Ruhe und traf zum 1:1 Ausgleich für die Gäste. Danach ging es in der gleichen Tonart weiter und beide Teams hatten gute Momente, wodurch es ein offenes Spiel blieb. Hochkarätige Chancen waren zwar Mangelware, aber ein weiterer Paukenschlag sollte kurz vor der Pause erfolgen.

Die Österreicher ließen nicht locker und ließen eine Gegenpressing-Welle nach der anderen über die Türken ergehen, wodurch innerhalb weniger Sekunden die Gastgeber gleich drei (!) mal den Ball im letzten Drittel gewinnen konnten. Nach dem letzten Ballgewinn kam der Ball zu Stürmer Gregoritsch, der direkt abzog, jedoch nicht wirklich platziert ausfiel, was allerdings ausreichte, da der türkische Torhüter Cakir patzte und danebengriff. Den Österreichern war das jedoch herzlich egal und zu einem mental wichtigen Zeitpunkt konnte man in Führung gehen. Wie aggressiv und forsch das Gegepressing der Gastgeber war, kann man beim nächsten Bild gut erkennen:

Die Türkei versucht sich spielerisch zu befreien, jedoch rücken die Österreicher gleich mit sechs (!) Feldspielern weit auf und schnüren die Gäste mit einem knackigen Gegenpressing ein, wodurch man mehrmals den Ball gewann und so quasi den 2:1 Führungstreffer durch Gregoritsch erzwang.

Österreicher spielen sich in einen Rausch

Nach dem Wiederanpfiff zur zweiten Halbzeit kamen die beiden Teams unverändert wieder zurück auf dem Platz und auch aus taktischer Sicht gab es nur kleinere Anpassungen zu sehen. Ehe diese überhaupt zum Tragen kamen, stand es auch schon 3:1 für die Gastgeber. Nach einem Eckball kam Stürmer Gregoritsch vollkommen frei zum Kopfball und erneut sah der Gäste-Torhüter Cakir nicht gut aus, weshalb es nun 3:1 stand. Das schockte die Türken sichtlich und sie bekamen nicht mehr wirklich einen Fuß auf dem Platz, weshalb selbst die spielerisch guten Momente immer seltener wurden und selbst so verlässliche Akteure wie Kapitän Calhanoglu leichtfertige Ballverluste erlitten. Die Gastgeber hingegen witterten Morgenluft und pressten unaufhörlich weiter, weshalb man mit einem weiteren Treffer für dieses Engagement belohnt wurde.

Den Spielaufbau der Türkei konnte man erfolgreich stören und den Gegner zu einem langen Ball zwingen, der postwendend zurückkam und nach einer schönen Kombination wurde Laimer regelwidrig zu Fall gebracht, weshalb es Strafstoß für die Gastgeber gab. Diesem nahm sich der torhungrige Angreifer Gregoritsch an und erzielte souverän seinen dritten Treffer an diesem Abend. Der Teamchef der Türken versuchte dann mit mehreren Wechseln dem Spiel seiner Mannen neue Impulse zu geben, das klappte aber nur bedingt. Stattdessen blieben die Österreicher das gefährlichere Team und fand immer wieder durch direktes Kombinationsspiel den Weg ins letzte Drittel, wo man eine Vielzahl an gefährlichen Situationen kreierte. Hier wurde dann auch die Schwachstelle der Türken konsequent angebohrt, nämlich die Abwehrreihe, die alle Hände voll zu tun hatte, diese Angriffe zu verteidigen.

Das gelang allerdings nicht immer, weshalb die Gastgeber zum nächsten Elfmeter nach einem Foul an Rechtsverteidiger Posch kamen. Diesen verwandelte Offensivspieler Baumgartner sicher zum 5:1 und für die Türken war das besonders bitter, hatte man doch davor den Anschlusstreffer zum 4:2 erzielt, wurde dieser jedoch aufgrund des Foulspiels an Posch via „VAR“ zurückgenommen und stattdessen den Österreichern ein Elfmeter zugesprochen. Doch das war noch nicht der Schlusspunkt, diesen setzte letztendlich der eingewechselte Stürmer Entrup, der seinen Debüttreffer markieren durfte und das halbe Dutzend vollmachte, weshalb die Türken mit einer Packung auf die Heimreise geschickt wurden und das Spiel mit einem deutlichen Ergebnis von 6:1 endete.